»Wo werden die Arbeiten Olbrichs nach zehn Jahren sein?«

Architektur 1908:

Die Frage, welchen Bestand die Architektur des Jugendstils haben wird, stellt der österreichische Architekt Adolf Loos in seinem berühmten Essay »Ornament und Verbrechen«, der im Todesjahr seines Landsmanns Joseph Maria Olbrich erscheint. Der Tod Olbrichs und der Aufsatz von Adolf Loos bewegen die Architektur-Welt von 1908.

Mit Joseph Maria Olbrich verliert der Jugendstil einen seiner profiliertesten Vertreter. Die letzten Arbeiten vor seinem frühen Tod zeigen noch einmal sein ungewöhnliches Können: der »Hochzeitsturm« auf der Mathildenhöhe in Darmstadt und das Kaufhaus Tietz in Düsseldorf. Beide Bauten weisen jedoch mit ihrer sparsamen Ornamentik und der Tendenz zum Monumentalen bereits über den Jugendstil hinaus.

Weg von dem verspielten Ästhetizismus des frühen Jugendstils zu einem mehr funktional bestimmten Bauen geht auch die Entwicklung anderer Architekten. In Wien baut Josef Hoffmann für die Kunstschau der Klimt-Gruppe einen Pavillon, der sich durch einfache, strenge Formen auszeichnet. Otto Wagners Entwurf eines monumentalen Gebäudes, das das österreichische Kriegsministerium beherbergen sollte, wird von der Jury mit der Begründung, dass es zu wenig »militärischen Charakter« habe, abgelehnt.

Am weitesten entfernt sich Peter Behrens mit dem Bau der Montagehalle der AEG-Turbinenfabrik in Berlin von seiner Jugendstilphase. Mit dieser ersten modernen Fabrikhalle wird die Forderung von Adolf Loos, auf jedes Ornament zu verzichten und nur das streng Funktionale zuzulassen, ganz erfüllt.

Ganz andere Wege als in Europa geht die Baukunst in den USA. Durch die Notwendigkeit, mit Baugrund sparsam umzugehen, und dank der neuen Stahlskelettbauweise wird es möglich, immer höhere Häuser zu bauen. In der Nachfolge von Louis Sullivan und der maßgeblich von ihm bestimmten Chicago School, die um 1890 die ersten Hochhäuser baute, entstehen immer neue »Wolkenkratzer«. Einer der letzten und höchsten ist das »Singer Building« in New York. Weitaus stärker als europäische Bauten zeichnen sich diese Hochhäuser durch Funktionalität und Schmucklosigkeit aus. Eine »organische« Verknüpfung zwischen dem Haus und seiner Umgebung strebt Frank Lloyd Wright an, der prominenteste Schüler Sullivans. Seine »Präriehäuser« in Illinois – 1908 entsteht das »Cooley House« in Riverside – sind sowohl in der Form als auch nach den verwendeten Materialien der natürlichen Umgebung angepasst. Wrights Konzept einer »organischen« Architektur ist radikal neu und übt in Europa erheblichen Einfluss aus.

Ein eigenwilliger Außenseiter der europäischen Architektur ist der Spanier Antoni Gaudí. In seinen Arbeiten – wie dem Haus Milá in Barcelona – kommt es zu einer vollkommenen Verschmelzung der konstruktiven und dekorativen Elemente.

Chroniknet