Schulwesen unterschiedlich – nur Feriendauer gleich

Bildung 1911:

Die Ferienzeit beträgt in allen Staaten des Deutschen Reichs rund zwölf Wochen, 40 Wochen bleiben für den Unterricht. Dies sind allerdings fast die einzigen Gemeinsamkeiten der Schulen im Deutschen Reich.

In den Real- und humanistischen Gymnasien schwankt die wöchentliche Pflichtstundenzahl für neun- bis zehnjährige Schüler zwischen 25 und 34, für 18- bis 19-jährige zwischen 29 und 38 Wochenstunden. Die wöchentliche Gesamtstundenzahl aller Klassen einer Schule differiert zwischen 246 und 323, was einem Unterschied von über 30% entspricht. Das Gymnasium mit der niedrigsten Stundenzahl liegt in Bayern, an der Oberrealschule in Braunschweig werden wöchentlich 77 Stunden mehr gegeben. Trotzdem werden die Abiturzeugnisse als gleich anerkannt.

Während Latein in den meisten Gymnasien und Realgymnasien ab der Sexta gelehrt wird, beginnt das Reformgymnasium damit erst in der Untertertia. Französisch beginnt in den Gymnasien und Realgymnasien in der Regel in der Quarta, in einzelnen Anstalten auch schon in der Sexta; in Bayern wird Französisch erst nach der Untertertia gelernt. Ähnlich verhält es sich beim Englischen.

Vielerorts dauert der Unterricht von 7 oder 8 Uhr bis 13 oder 14 Uhr sowie am Nachmittag von 15 bis 17 Uhr, manchmal sogar bis 18 Uhr. Andere Schulen beschränken den Unterricht auf den Vormittag, von 7 bis 14 Uhr. Es hat sich herausgestellt, dass bei Beginn des Unterrichts um 7 Uhr die Nachtruhe der Schüler häufig zu kurz kommt. Schüler, die einen weiten Schulweg haben, wie es in Großstädten oft der Fall ist, und solche, die von auswärts kommen, müssen häufig schon um 5 Uhr aufstehen.

Seit mehreren Jahren laufen Versuche mit Kurzstunden von 40 Minuten. Der Unterricht wird durch vier Pausen von 10 Minuten und eine große Pause von 15 Minuten unterbrochen. Bei der sog. Frankfurter Enquete sprechen sich in diesem Jahr von 7020 Eltern, Pädagogen und Ärzten 6017 für die Einführung dieses Modus an allen höheren Schulen aus.

Im Universitätsbereich ist 1911 ein Novum zu vermelden: In Leipzig eröffnet die von Henriette Goldschmidt initiierte »Hochschule für Frauen« mit 898 Studentinnen und Gasthörerinnen den Lehrbetrieb. Goldschmidt knüpft mit dieser Hochschule an das 1852 gescheiterte Projekt der Hamburger Frauenhochschule an, mit deren Mitgründerin, Emilie Wüstenfeld, sie befreundet war.

Die Leipziger Hochschule will Frauen in drei Bereichen bilden: Allgemeinbildung in Philosophie, Psychologie, Ethik und Ästhetik; ein speziell für künftige Fröbelseminarleiterinnen gedachter Pädagogikbereich, der u. a. das Fach »Geschichte der Erziehung des weiblichen Geschlechts« vorsieht; eine Abteilung zur Schulung von Sozialarbeiterinnen, die Kurse in den Fächern »Geschichte der Frauenbewegung« und »Stellung der Frau im Recht« belegen müssen. Die Hochschule verfügt neben Hörsälen über wissenschaftliche Institute und ein »Erziehungsmuseum«. Jede gebildete Frau, die das 18. Lebensjahr erreicht hat, wird zu allen Vorlesungen und Übungen zugelassen. Ein wöchentlich einmal stattfindendes Kolleg kostet 10, ein wöchentlich zweimal stattfindendes Kolleg 15 Mark pro Semester.

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