Über eine Million Kraftfahrzeuge erfordern Verkehrsregeln

Verkehr 1929:

Während Eisenbahn- und Luftverkehr im Deutschen Reich stagnieren, setzt sich das Kraftfahrzeug als Beförderungsmittel von Personen und Gütern immer mehr durch.

Erstmals überschreitet 1929 die Zahl der Kraftfahrzeuge die Millionengrenze. Nach der Zählung vom 1. Juli des Jahres gibt es 1 214 059 Kraftfahrzeuge im Deutschen Reich, 30,1% mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Krafträder unter Einschluss der Kleinkrafträder liegt mit 608 342 wesentlich höher als die der Personenkraftwagen (4433 205 ). Die Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr ist bei den Motorrädern mit 38% ebenfalls höher als bei den Pkw (23%). Nahezu jedes vierte Auto ist ein ausländisches Fabrikat.

Im gleichen Verhältnis hat die Verkehrsdichte auf den deutschen Straßen zugenommen. Der Automobilverkehr auf Landstraßen hat sich 1928/29 im Vergleich zu 1924/25 verdoppelt, wobei im Allgemeinen die Hauptstraßen und speziell die Industrieregionen wie das rheinisch-westfälische Industriegebiet und Sachsen besonders belastet sind. Der Anteil des Verkehrs mit Pferd und Wagen hingegen ist z. B. auf den sächsischen Straßen von 1924/25 bis 1928/29 von 40,1% auf 16,4% des Gesamtverkehrs zurückgegangen.

Die größere Verkehrsdichte insbesondere in den Großstädten erzwingt die genaue Festlegung von Verkehrsregeln, die allerdings nicht reichseinheitlich, sondern kommunal erfolgt. Berlin erhält 1929 ein neues Verkehrsgesetz, das u. a. die Höchstgeschwindigkeit in der Stadt bei Kraftwagen unter 5,5 t Gesamtgewicht auf 40 km/h festsetzt. Schwerere Kraftfahrzeuge dürfen höchstens 30 km/h fahren; bei Wagen mit Anhängern beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 16 km/h. Weiterhin wird festgelegt, dass Ausfall- und Ringstraßen generell Vorfahrtsrecht erhalten sollen, ansonsten gilt weiterhin die Regel »Rechts vor Links«.

Sog. Straßen I. Ordnung sind zwischen 8 und 20 Uhr für den Verkehr mit Lastfahrzeugen, Handwagen und Handkarren gesperrt. Für alle übrigen Fahrzeuge gilt auf diesen Straßen zwischen 15 und 19 Uhr ein Halte-, zwischen 8 und 19 Uhr ein Parkverbot.

Das Augenmerk der Reichsbahn richtet sich bei leicht rückläufigen Beförderungszahlen (minus 1,5% im Vergleich zum Vorjahr) auf die Verbesserung der Sicherheit.

Nach Berechnungen der Bahn passieren die Züge auf deutschen Strecken jährlich 1,1 Milliarden Mal ein Signal; in etwa 20 Fällen pro Jahr übersieht ein Lokomotivführer ein Haltezeichen. Wegen der schwerwiegenden Folgen wird mit verschiedenen Vorrichtungen experimentiert, die beim Überfahren eines Haltesignals dafür sorgen sollen, dass der Zug automatisch zum Stehen kommt.

Ein System von Siemens & Halske, das auf einigen Reichsbahnstrecken schon in Betrieb ist, funktioniert mittels einer am Signal befestigten Kippschiene. Diese Schiene klappt bei »Halt« nach vorn, streift beim Vorbeifahren des Zuges einen seitlich an der Lokomotive angebrachten Hebel und löst damit die Bremse aus. Dieses Verfahren ist allerdings nur bei niedrigen Geschwindigkeiten einsetzbar und soll daher nur auf Stadt- und Vorortstrecken eingebaut werden. Ein anderes System arbeitet mit einem auf den Schienen angebrachten Magneten, der über einen elektromagnetischen Reflex die Bremse auslöst.

Chroniknet