Improvisation ist jetzt gefragt

Mode 1947:

Während sich in Paris der »New Look« des französischen Modeschöpfers Christian Dior durchzusetzen beginnt und man bei den bekannten Modehäusern von Paris Preise von 35 000 bis 55 000 Francs für einen Rock bezahlt und sich in den USA diese Modelle bis zu 50 US-Dollar kosten lässt, ist in Deutschland das Thema Mode angesichts des täglichen Existenzkampfs fast bedeutungslos. Die ehemaligen deutschen Modezentren Berlin, München und Hamburg liegen in Trümmern.

In der Vier-Sektoren-Stadt Berlin sieht man wie in einem Kaleidoskop den deutschen und internationalen Trend. In den angloamerikanischen Sektoren wird die sportlich-gediegene Eleganz mit Kleidern, die bis zum Knie reichen, bevorzugt. Wer die Rocklänge variieren will, kann auf ein Modell zurückgreifen, das mit anknöpfbarem Stoff verlängert werden kann. Im französischen Sektor trägt die elegante Frau den »New Look« mit weitschwingenden langen Röcken; im sowjetischen Teil Berlins wird versucht, die westlichen Begriffe von Eleganz mit der Vorliebe vieler Russinnen für kräftige Farben zu verbinden. Aufgrund der hohen Kosten für neue Kleidungsstücke sind modebewusste deutsche Frauen auf Improvisation angewiesen.

Das Zentrum der wiedererwachenden Berliner Mode liegt in den Westsektoren der Stadt. Hier werden mit großer Risikobereitschaft Stoffe, Nähgarne und Knöpfe auch aus den östlichen Industriegebieten beschafft. Die modebewusste Berlinerin erhält ihr »Modellkleid« gegen vorherige Stoffabgabe und einen Durchschnittspreis von rund 150 Reichsmark. Dabei ist es erheblich leichter, den sehr hohen Kaufpreis aufzubringen, als die geeigneten Stoffe für die neue Garderobe zu organisieren.

Da sich die meisten jedoch den Luxus eines neuen Kleidungsstücks nicht leisten können, behilft man sich häufig mit Improvisationen. So werden modische Schuhabsätze aus Holz gefertigt, alte Wehrmachtsuniformen werden von ihren Rangabzeichen befreit und – soweit möglich – der Mode angepasst, aus alten Decken werden Wintermäntel hergestellt. Alte, abgetragene Kleidungsstücke werden mit dekorativen Besätzen und Accessoires dem neuesten Chic angepasst. Auch das ausgediente Korsett der Großmutter hat in der neuen Mode wieder seinen Platz.

Beim Baden hilft allerdings nur eine von Natur aus schlanke Figur, um in jeder Hinsicht up to date zu sein, wenngleich der von dem Franzosen Réard vorgeschlagene Bikini keineswegs in so knapper Form getragen wurde.

Chroniknet