Schulen und Hochschulen in der Krise

Bildung 1961:

Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland ist im Jahr 1961 gekennzeichnet durch Raumnot, hohe Schüler- und Studentenzahlen sowie fehlendes Lehrpersonal.

Rund 6,6 Millionen Schüler besuchen im Schuljahr 1960/61 die 35 011 öffentlichen und privaten allgemeinbildenden Schulen und werden von nur 210 000 hauptamtlichen Lehrkräften unterrichtet. 82% der Schüler besuchen Volks- und Sonderschulen, 5,3% Realschulen und 12,7% die Oberschulen.

Aufgrund der Raumnot an den Schulen, die durch die Zerstörungen im Krieg und die wachsende Geburtenrate verursacht wird, müssen rund 860 000 Schüler in Schichten unterrichtet werden. Die Anzahl der Schüler pro Klasse liegt im Durchschnitt in den Volksschulen bei 37, an den Realschulen bei 33 und an den Oberschulen bei 28 Schülern. Der Lehrermangel führt zu einem Unterrichtsausfall von bis zu 25%. Um dem Lehrermangel abzuhelfen, werden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen auch Hausfrauen – nach einer kurzen Ausbildung – in den ersten vier Schuljahrgängen eingesetzt.

Nach einem Bericht der Kultusministerkonferenz fehlen 23 210 Klassen- und 20 959 Fachräume in den allgemeinbildenden Schulen. Nur jede sechste Schule hat z. B. eine eigene Turnhalle. Um der Platznot abzuhelfen, wären Investitionen in Höhe von über fünf Milliarden DM notwendig. Folgen der Schulmisere sind eine geringere Qualität der schulischen Ausbildung als in anderen führenden Industrieländern der westlichen Welt und gesundheitliche Schäden bei Schülern, die durch den Schichtunterricht, schlecht ausgebildete Lehrer und das Fehlen geeigneter Klassenräume überfordert sind.

An den deutschen Universitäten und Hochschulen ist die Problemlage ähnlich. Wachsende Studentenzahlen führen zur Überfüllung der Hörsäle. An den 19 Universitäten und 14 Hochschulen der Bundesrepublik studieren im Wintersemester 1960/61 über 200 000 Personen. Die Hochschulen sind damit zu 50% überlastet, ein qualifizierter Lehrbetrieb ist kaum noch gewährleistet. Von den rund 48 000 Abiturienten, die sich an den Hochschulen einschreiben wollen, können nur etwa 50% aufgenommen werden. Zwar gibt es keine offiziellen Zulassungsbeschränkungen, doch versucht jede Hochschule durch Vorprüfungen oder erhöhte Anforderungen an die Abiturienten den Zugang von Studenten zu erschweren und zu vermindern.

Auch in den hoch industrialisierten Vereinigten Staaten steckt das Bildungswesen in einer Krise. In einer Botschaft an den Kongress fordert Präsident John F. Kennedy am 20. Februar die Bewilligung von (umgerechnet) 23,9 Milliarden DM für ein Erziehungs- und Bildungsprogramm.

Während in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland die Klassenfrequenzen in den Volksschulen bei 29 bzw. 37 Schülern liegen, unterrichten die Lehrer in der Sowjetunion nur jeweils 17 Schüler pro Klasse. Die Sowjetunion gibt pro Kopf der Bevölkerung etwa sechsmal so viel Geld für die Bildungspolitik aus wie die Bundesrepublik Deutschland und bildet rund zwölfmal so viele Lehrkräfte aus.

Chroniknet