Essgewohnheiten im Wandel

Ernährung, Essen und Trinken 1962:

Noch in den 50er Jahren waren in den meisten Familien der Bundesrepublik die Bemühungen darauf gerichtet, satt zu werden.

Jetzt, Anfang der 60er, ist die quantitative Deckung des Ernährungsbedarfs kein Problem mehr. Nahrungs- und Genussmittel gibt es reichlich, und die Preise sind in der Relation zum Durchschnittsverdienst so günstig, dass die Speisepläne abwechslungsreich gestaltet werden können und ab und zu auch ein kulinarischer Leckerbissen auf den Tisch kommt.

Wenn z. B. im Jahr 1961 eine vierköpfige Familie monatlich im Durchschnitt 296,74 DM für Ernährung ausgab, so waren das 44,2% des Einkommens, 1962 betragen die Ausgaben 314,71 DM, dies sind jedoch in diesem Jahr nur 42,6% des Verdienstes.

Die Veränderung der Essgewohnheiten liegt einerseits in dem vielfältigen Angebot begründet, das u. a. durch den Verkauf von Tiefkühlkost ganz andere Möglichkeiten bietet, andererseits erhalten die Deutschen aber auch neue Anregungen auf ihren Urlaubsreisen, z. B. nach Italien und Spanien. Überall in den Städten der Bundesrepublik werden Pizza-Restaurants eröffnet, die in der Hauptsache nicht etwa nur von den italienischen Gastarbeitern besucht werden, sondern vor allem von den einheimischen Familien. Auch zu Hause wird schon ab und zu einmal anders gekocht. Ideen dafür findet die Hausfrau in den Frauenzeitschriften und Illustrierten, worin die Rezeptseiten zu einer ständigen Einrichtung werden.

Von dieser Entwicklung weniger begeistert zeigen sich jedoch die Mediziner und Ernährungswissenschaftler, sie sehen dadurch neue Probleme auf die Wohlstandsbürger zukommen, denn an die Stelle der quantitativen Mangelernährung tritt nun die qualitative Fehlernährung: Einerseits wird sie hervorgerufen durch die Überernährung mit ihrer Folgeerscheinung, der Fettsucht, zum anderen kommt es zu einer unzureichenden Versorgung mit einigen lebensnotwendigen Nährstoffen – in erster Linie mit Eiweiß sowie einigen Vitaminen und Mineralien.

Das Bundesministerium für Ernährung sieht sich deshalb auch veranlasst, eine Aufklärungsaktion über dieses Thema zu starten.

Chroniknet