Feinschmeckerküche verdrängt einfache Hausmannskost

Ernährung, Essen und Trinken 1964:

Mit steigendem Wohlstand kommt es den Bundesdeutschen weniger auf Quantität als vielmehr auf Qualität beim Essen und Trinken an. Wollte man bis weit in die 50er Jahre hinein noch in erster Linie satt werden, so strebt heute so manch einer nach Genuss und nach Gaumenkitzel.

Die alte deutsche Hausmannskost – Kartoffeln mit Soße, Stullen und Eintopfgerichte – gerät ins Hintertreffen. In den Haushalten und Restaurants kommen immer häufiger Speisen auf den Tisch, die vor wenigen Jahren noch extravagant erschienen: Puten, Rauchschinken, eine Fülle von Käsesorten, Avocados, Delikatess-Salate, exotische Suppen, Kräuter und Gewürze – die Deutschen beginnen, das Schlemmen zu entdecken. Die Statistik belegt diesen Trend. Bei allen höherwertigen Lebensmitteln ist der Verbrauch stark gestiegen. Seit 1960 wuchs der Monatskonsum des Bundesbürgers an

  • Fleisch um rund 15% (1960: 696 g; 1964: rund 800 g)
  • Geflügel um rund 50% (von 169 auf rund 250 g)
  • Gemüsekonserven um 50% (von 442 auf 670 g)

Im Gegensatz dazu ging der Konsum sog. Volksnahrungsmittel zurück. Seit 1960 sank der monatliche Pro-Kopf-Konsum an

  • Margarine von 946 g (1960) auf 764 g – um rund ein Fünftel
  • Brot von 5428 g auf 4812 g – um etwa 12%
  • Kartoffeln von 7,35 kg auf 2,48 kg – um rund zwei Drittel

Vielfältige Anregungen für die Bereicherung des Speisezettels empfingen die Deutschen auf ihren Urlaubsreisen ins Ausland. Selbst eingefleischte Sauerkraut-, Eisbein- und Würstchen-Esser lernten auf diesem Wege italienische Nudelgerichte, spanische Fischtöpfe und französische Feinschmeckermenüs schätzen. Und die Besuche in den überall aus dem Boden geschossenen Pizza-Stuben, Balkan-Grills und China-Restaurants tun ihr Übriges, um die Hausfrau zu Experimenten am Herd zu verleiten. Die Lebensmittelhändler richten sich darauf ein und nehmen die Zutaten für ausländische und exotische Gerichte in ihr Sortiment auf.

Auch das Angebot an Tiefkühlkost steigt ständig. Wild, Geflügel, Fisch und jede Art von Gemüse werden das ganze Jahr über in gefrorener Form zum Verkauf feilgeboten. Allerdings greift die deutsche Hausfrau bislang eher zögernd zu. Nicht einmal ein Kilo der tiefgekühlten Kost verzehrt der Bundesbürger durchschnittlich im Jahr.

Nicht mehr verzichten möchte der Wohlstandsdeutsche auf Snacks und Naschereien neben den regelmäßigen Mahlzeiten. Einen wahren Boom kann beispielsweise die Speiseeisbranche verzeichnen. Steigenden Umsatz melden auch die Hersteller von Salzstangen, Erdnuss-Flips und Kartoffelchips. Das würzige Knabbergebäck wird vor allem vor dem TV-Apparat verzehrt.

Chroniknet