Freizeitspaß und Reiselust

Urlaub und Freizeit 1964:

Der Gestaltung von Urlaub und Freizeit messen die Bundesbürger einen immer höheren Stellenwert zu – für viele wird sie zum erstrangigen Lebensinhalt und Lebensziel. Voraussetzung für diese Entwicklung bildet der ständig sinkende Anteil der Berufsarbeit an der gesamten Lebenszeit. Durch die stufenweise Verkürzung der Wochenarbeitsdauer, die Einführung der Fünftagewoche und die Aufstockung der Urlaubstage stehen dem Bundesbürger seit Ende der 50er Jahre eine ständig steigende Anzahl von Mußestunden zur Verfügung. Von 5840 wachen Stunden im Jahr verbringt der Durchschnittserwachsene derzeit nur noch höchstens 2000 mit Erwerbsarbeit.

Die verbleibende freie Zeit will sinnvoll genutzt werden. Während die einen Ruhe und Beschaulichkeit suchen, um sich von den Anstrengungen des Arbeitslebens zu erholen, entwickelt ein anderer Teil beträchtliche Freizeitaktivitäten. Da wird gekegelt, geschwommen und Fußball gespielt, gebastelt, gebaut und im Garten gegraben. Die Tennis- und Reitvereine, Anglerklubs und Alpenverbände melden sprunghaft ansteigende Mitgliederzahlen. An Sommerwochenenden ziehen Scharen von Sonnenhungrigen in Schwimmbäder, an Badeteiche, auf Waldlichtungen und in Schrebergärten, um sich beim Schwimmen, bei Gartenarbeit, Krocket, Boule, Boccia oder Federball die Zeit zu vertreiben.

Ein ansehnlicher Teil der Freizeit wird allerdings vor dem Fernsehgerät verbracht. Rund 10 Mio. deutsche Fernsehteilnehmer starren im Durchschnitt nicht weniger als zweieinhalb Stunden täglich in die Röhre. Immerhin bleibt noch so viel Zeit, dass 28% des Bevölkerungsquerschnitts mindestens einmal im Monat eine Party geben oder einer dementsprechenden Einladung folgen, dass noch immer 13% mindestens einmal wöchentlich ihre Stammkneipe besuchen und dass 22% mindestens sechsmal im Jahr ins Theater oder Konzert gehen. Vor allem, wenn die Ferienzeit anbricht, hält viele Bundesbürger nichts mehr daheim. Vorzugsweise im Juli und August packt jeder dritte Erwachsene seine Koffer und begibt sich auf Reisen. Etwa 60% aller Urlauber bleiben innerhalb der deutschen Grenzen, am liebsten in Bayern, dem Schwarzwald und in den Badeorten an Nord- und Ostsee, während 40% Erholung im Ausland suchen.

Bei den ausländischen Reisezielen führen nach wie vor Österreich, mit einigen Abstrichen Italien und die Schweiz die Beliebtheitsskala an. Auch Spanien und Jugoslawien schieben sich weiter nach vorn. Auch der Osttourismus kommt allmählich in Mode, zumal einige Reiseveranstalter preisgünstige Pauschalarrangements anbieten. So kosten beispielsweise 14 Tage am ungarischen Plattensee 170 DM und eine 14-tägige Flugreise an den bulgarischen »Goldstrand« von Warna 459 DM. Gegenüber 1963 verdoppelt sich der Reiseverkehr nach Bulgarien, der Besucherstrom nach Ungarn vervierfacht sich, und in die Tschechoslowakei fahren fünfmal so viele Bundesbürger wie 1963.

Das Jahr 1964 wird von Reiseveranstaltern als ein »Jahr des Flugbooms« bezeichnet. Die Zahl der Ferienreisenden, die sich für das Flugzeug entscheiden (insgesamt etwa 10%), nimmt gegenüber 1963 um 135% zu. Die Eisenbahn benutzt rund ein Drittel aller deutschen Urlauber. Schiffsreisen erfreuen sich aufs Neue wachsender Beliebtheit, vor allem kombinierte Flug- und Schiffsarrangements. Der Autobusverkehr hält seinen Anteil von rund 13%.

Als Unterkunft bevorzugen über die Hälfte aller deutschen Urlauber (51,5%) ein Hotel oder eine Pension, während 24% Privatquartiere wählen oder bei Verwandten wohnen und 11% Ferienhäuser oder -wohnungen mieten. Die Campingfreunde machen 13,5% aus. Auf die Frage nach den Motiven für ihre Reiselust geben Urlauber bei einer Untersuchung des Psychologischen Instituts der Universität Bonn an:

  • Urlaub als Zeit »extremer Freizeit«: 41,5%
  • Urlaub als Gegensatz zum Alltag: 32%
  • Urlaub als Suche nach mitmenschlichem Kontakt: 20,3%.
Chroniknet