Hochschulstudium verliert an Attraktivität

Bildung 1975:

In der Bundesrepublik Deutschland lässt der Run auf die Hochschulen 1975 erstmals nach. Von den fast 172 000 Abiturienten und Absolventen der Fachoberschulen wollen rund 79% studieren, 12% sind noch unschlüssig. 1971/72 äußerten noch 90% der Abiturienten die Absicht zu studieren, lediglich 4% hatten sich bei der Befragung noch nicht für oder gegen die Hochschule entschieden. Damit steigt die Zahl der Studenten im Wintersemester 1975/76 zwar weiter – auf 837 000 –, der Zuwachs fällt jedoch deutlich geringer aus als in den Vorjahren.

Eine Ursache des sinkenden Interesses an einer Hochschulausbildung sind die schlechter werdenden Berufsaussichten für Akademiker, denen nach dem Studium nicht mehr fast automatisch eine gut bezahlte Stellung mit Aufstiegschancen winkt.

Abschreckend auf viele Abiturienten wirken aber auch die Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten, die eingeführt wurden, weil in immer mehr Fächern weniger Studienplätze als Bewerber zur Verfügung stehen. Besonders krass ist das Missverhältnis in den Bereichen Zahnmedizin, wo im Wintersemester 1975/76 acht Bewerber auf jeden Studienplatz kommen, und Medizin mit sechs Bewerbern je Ausbildungsplatz. Über die Zulassung der Bewerber entscheidet die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund nach einem Schlüssel, der u.a. Abiturnotendurchschnitt und Wartezeit berücksichtigt. Das Verfahren ist sehr umstritten, weil es u.a. Begabung und Eignung unberücksichtigt lässt und zu zusätzlichem Leistungsdruck in den Schulen führt. Die Umorientierung vieler Abiturienten hin zu einer nicht akademischen Berufsausbildung hat auch Auswirkungen auf andere Jugendliche. Weil bei der Einstellung von Auszubildenden in der Industrie und der gewerblichen Wirtschaft Gymnasiasten meist bevorzugt werden, verringern sich die Chancen für Jugendliche mit weniger qualifiziertem Schulabschluss Besonders hart trifft es die etwa 73 000 jungen Menschen, welche die Schule 1975 ohne Abschluss verlassen (<!– 28.2.1975–>).

Chroniknet