Mehr Quark, weniger Fett

Ernährung, Essen und Trinken 1978:

Seit Jahren bemühen sich Ärzte, Ernährungswissenschaftler und nicht zuletzt ambitionierte Vertreter der Kochkunst, die Essgewohnheiten der Deutschen zu verändern. Dabei wettern die Mediziner insbesondere gegen zu viel Fett und Kohlenhydrate die Köche beklagen die verbreitete Einfallslosigkeit in der westdeutschen Durchschnittsküche.

Allerdings gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Kampagnen für eine gesündere und raffiniertere Küche in breiteren Bevölkerungskreisen Wirkung entfalten. Eine 1978 veröffentlichte Statistik zeigt, dass sich die Essgewohnheiten der Bundesbürger innerhalb von zehn Jahren z.T. erheblich verändert haben. Insgesamt ist der Verbrauch an kohlehydratreichen »Sattmachern«, vor allem von Kartoffeln, seit 1967 stark zurückgegangen. Überdurchschnittlich hat sich demgegenüber die Verbrauchsmenge von Milchprodukten wie Joghurt, Quark und Hüttenkäse sowie alkoholfreien Erfrischungsgetränken erhöht. Hierbei spielen allerdings zuckerhaltige Limonaden eine wichtige Rolle. Neben einem allgemein gewachsenen Gesundheitsbewusstsein sind die statistischen Zahlen auch Ausdruck eines weiter gestiegenen Wohlstands in den 70er Jahren.

Auffällig ist z.B. der Rückgang des Fettverbrauchs (Butter, Margarine) und der vergleichsweise geringe Anstieg des Fleischverzehrs. Beim Schweinefleisch, das seit der »Fresswelle« der 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik besonders beliebt ist, werden zunehmend magere Stücke verlangt. Die Anhänger der Vollwertkost stellen eine noch relativ kleine Bevölkerungsgruppe dar. Allerdings können sich die Spezialbäckereien über Mangel an Nachfrage nicht beklagen; im Gegenteil, der Absatz von Vollkornbrot und Müsli floriert mit deutlich steigender Tendenz. Besonders junge Leute folgen dem Trend.

Nach wie vor macht die »Nouvelle Cuisine «, Anfang der 70er Jahre die Koch-Sensation aus Frankreich, von sich reden. Nachdem sich die Wogen der Begeisterung etwas geglättet haben, versuchen ihre Erfinder, Paul Bocuse und Michel Guérard, ihre Ideen weiter zu vermarkten und bieten unter ihrem Namen ein Sortiment von – man höre und staune – Konserven an! Ausgesucht mageres Fleisch und knackiges Gemüse in Dosen – viele Küchenkritiker Frankreichs sind von dem jüngsten Coup der Meisterköche alles andere als begeistert. Überhaupt weht Bocuse und seinen Mitstreitern für die »Nouvelle Cuisine « zumindest in Frankreich der Küchendunst zunehmend ins Gesicht. So schreibt etwa der Pariser »Nouvel Observateur«: »Der Trick, auf einem großen Teller zwei zwirnsrollengroße Stückchen Fleisch und ein paar Bröckchen Gemüse so entzückend zu verteilen, dass es 160 Franc kostet, dieser Trick zieht nicht mehr.«

In der Bundesrepublik jedoch erfreut sich die »Nouvelle Cuisine « wachsender Beliebtheit. Bocuses »Meisterschüler« östlich des Rheins, der Österreicher Eckart Witzigmann, Chef des Münchener 2-Sterne-Restaurants »Tantris«, bringt 1978 ein überaus erfolgreiches Kochbuch heraus, das über weite Strecken den auf Frische und Eigengeschmack bedachten Kreationen von Paul Bocuse verpflichtet ist.

Chroniknet