Männer tragen Röcke

Mode 1985:

»Androgynes und Körpernahes«, »Modewende in Paris« lauten die Überschriften der aktuellen Modeberichte. Nach vielen Jahren der Oversize-Mode und der Boxerschultern ist Neues in Sicht.

Jean-Paul Gaultier, französischer Modedesigner und Enfant terrible, schlägt Röcke statt Hosen für den Mann vor. Der Andrang zu seinen Modeschauen ist enorm, und die männlichen Zuschauer übertreffen Gaultiers Vorstellungen von androgynem Äußeren. Männer tragen Spitzenstrümpfe und kurze Röcke, andere weite, knöchellange Hosenröcke. Die Männerkleidung soll sich an die weibliche Mode angleichen, während andererseits die modischen breiten Schultern die Frauen männlich erscheinen lassen. Progressive Kaufhäuser richten »androgyne Abteilungen« ein, die Kleidung für Frauen und Männer gleichermaßen anbieten. Der Wiener Modeavantgardist Marc Thomas Merz schlägt »Männer-Dirndl« vor, tragen doch die Schotten den Kilt, die Araber die Tobe und die Hawaiianer den Sarong. Dennoch, der »neue« Mann soll keineswegs weibisch wirken, er soll männlich körperbewusst sein, Bodybuildung treiben und ein Sportfreak sein. Auch die Unterwäsche für Männer ändert sich. Der Grieche Nikos Apostolopoulos bringt Männerslips erstmals mit hohem Beinausschnitt und breitem Gummiband.

Als weiterer Modetrendsetter erweist sich der Mozart-Film »Amadeus«. Auch hier scheint der Unterschied der Geschlechter aufgehoben zu sein. Der Mann gefällt sich in Rüschenhemd, Brokatweste, Kummerbund aus schimmerndem Brokat und breiter Satinschleife als Krawatte. Die Frau trägt ein brokatenes Sakko zur schwarzen Samthose. Beide tragen Mozart-Zopf. Barocke Möbelstoffe eignen sich am besten für diese neo-romantische Mode. Einen romantischen Safari-Look bringt der Film »Jenseits von Afrika« in die Mode: Safari-Jacken werden zu langen, weiten Baumwollröcken modern.

Das Spiel der Geschlechter bringt eine weitere modische Komponente. Die Frau stellt sich als Vamp dar. Popgirl Madonna fasziniert Jugendliche wie in den 50er Jahren Marilyn Monroe. Mit ihren Auftritten im schwarzen Korsett lanciert Madonna eine Neo-Dessous-Welle. Für ihre fußlosen Strumpfhosen mit Leopardenfellmuster (eine Kreation zwischen Aerobic- und Punk-Hose) taucht erstmals der Begriff Leggins auf. Große Strasskreuze werden Modeschmuck, blonde Strähnen »in«.

Auch in der Haute Couture macht Ultrafeminines und Körperbewusstes von sich reden. Der gebürtige Tunesier Azzedine Alaïa bringt Kurven zur Geltung, lässt die ganze Seitennaht eines Abendkleides offen und zieht es durch Schnürung auf Körperform. Stars und Starlets reißen sich um seine Modelle, die ihn zum »besten Designer des Jahres« machen. Romantische Gegenstücke zu Alaïas Stil sind die faszinierenden Plissee-Roben aus changierendem Taft des Italieners Roberto Capucci.

Das allgemeine Modebild ist jedoch noch immer von Oversize und Schulterpolstern geprägt, aber eine Trendwende ist vorgezeichnet. Die Säume werden kürzer, der Rock kniefrei. Wer diese Länge noch nicht wagt, weicht auf Hosen aus. Diese gibt es in allen Langen und Weiten: Pyjamaformen, Matrosen- und hautenge Caprihosen, Bermudas und Shorts. »Das Neueste sind kniefreie Rad fahrershorts aus Jersey oder in Rippe gestrickt, die sehr an winterwarme ›Liebestöter‹ erinnern«, schreibt Peter Bäldle in der »Süddeutschen Zeitung« (16. 11. 1985). Hier und da gibt es Anklänge an die 60er Jahre, enge Shiftkleider à la Audrey Hepburn oder ärmellose Suzie-Wong-Kleider. Neu ist auch die Rückkehr der Farbe Rot, indisches Pink, Gold, Jade und Orange.

Dass Kleidung auch ein Hinweis auf die politische Gesinnung sein kann, zeigt sich, als Joschka Fischer, erster Minister der Grünen, bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister im Dezember 1985 ohne Krawatte, in Jeans und Turnschuhen erscheint.

Chroniknet