Neobarock und Neonaturalismus

Wohnen und Design 1988:

Die internationale Design-Szene zeigt sich gegen Ende der 80er Jahre als ein Experimentierfeld für neue Formen, Materialbearbeitungen, Stilkombinationen. Man frönt vielfach einem unbefangenen Eklektizismus, der die unterschiedlichsten Gestaltungsprinzipien und Arbeitsweisen nebeneinander gelten lässt Unikate neben Entwürfen für industrielle Massenfertigung, High-Tech neben Low-Tech-Produkten, konventionell-klassisch orientierte Formen neben anarchischen Versuchen mit neuen Ausdrucksformen. Prägnante Beispiele für die Abkehr von der formalen Strenge der klassischen Moderne wie von der High-Tech-Gestaltung sind der sog. Primitivismus und Neobarock. Designer wie Olivier Gagnère oder Elizabeth Garouste und Mattia Bonetti arbeiten in ihren Entwürfen mit Assoziationen an frühgeschichtliche Gebrauchs- und Kultgegenstände und machen auch Anleihen bei der Formensprache afrikanischer und asiatischer Naturvölker.

Der Neobarock, zu dessen Hauptvertretern u.a. die Franzosen André Dubreuil und Alexis Lahellec gehören, ist charakterisiert durch das lange verpönte Schwelgen in Ornamenten und Verlust der Symmetrie. Bizarre Formen voller Sinnlichkeit werden häufig in schrillen Farbkombinationen gestaltet. Die kapriziösen Formen des Neobarock sind Teil eines postmodernen Spektakels, in dem u.a. Genusssucht wie auch überschäumende Fantasie zum Ausdruck kommen. Auch der Neonaturalismus eines Riccardo Dalisi oder Andrea Branzi verwirft in spielerischer Art und Weise die Grundsätze einer funktional-strengen Formgebung. Naturformen – Blätter, Blumen, Äste – werden zu bestimmenden Elementen der Gestaltung. Die enge Verbindung des klassisch-modernen Designs zur Hektik und kühlen Strenge der Stadt wird aufgehoben zugunsten einer Hinwendung zur Natur, wobei die meisten Stücke die Natur eher zitieren, als dass sie eine naive Naturverbundenheit ausdrücken.

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