Schnell, gut, kaum gesünder

Ernährung, Essen und Trinken 1989:

Der Trend zur bewussteren Nahrungsaufnahme setzt sich 1989 ungebrochen fort, wenn er auch nach wie vor viele Inkonsequenzen enthält. Zwar verlangen die Konsumenten nach Nahrungsmitteln mit weniger Kalorien, Fett, Salz, Zucker und weniger Zusatzstoffen, andererseits zeigen etwa 80% der Menschen in Westeuropa Symptome, die auf Fehlernährung zurückzuführen sind. Die meisten leiden an Übergewicht. Schuld daran sind nach Ansicht von Experten vor allem üppige Zwischenmahlzeiten, der zunehmende Konsum von Fertiggerichten und die Unterversorgung mit Obst und Frischgemüse.

Die Menschen, so scheint es, wollen sich zwar gesund ernähren, für die Zubereitung und den Konsum von Mahlzeiten aber möglichst wenig Zeit aufwenden. So ist in der Nahrungsmittelindustrie die Tiefkühlkost weiterhin die größte Wachstumsbranche. Beliebt sind darüber hinaus sog. Müsliriegel in allen Variationen, die trotz ihres hohen Zuckergehalts als angeblich gesunde Zwischenmahlzeit mit »vollwertigen« Inhaltsstoffen akzeptiert werden.

Auch die große Nachfrage nach kalorienreduzierter Kost erweist sich als zwiespältig. Dieses Nahrungsangebot verträgt sich schlecht mit dem Verlangen nach möglichst ursprünglichen Lebensmitteln, entfernen doch die Prozesse der Fettreduzierung oder das Ersetzen von Zucker durch chemische Ersatzstoffe das Nahrungsmittel noch weiter von seinem Naturzustand. Ebenso zeigt sich, dass zwar der Wunsch nach Chemieverzicht in der Landwirtschaft besteht, andererseits jedoch »natürlicheres« Obst und Gemüse in Aussehen und Größe nicht den Erwartungen der Konsumenten entspricht.

In einem Punkt scheinen sich die Verbraucher weitgehend einig zu sein: Sie lehnen die radioaktive Bestrahlung, mit der frische Lebensmittel haltbarer gemacht werden sollen, überwiegend ab. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft bemüht sich 1989 jedoch vergeblich, einheitliche Regeln für die Konservierung von Lebensmitteln durch Bestrahlung zu finden.

Bei dem Verfahren werden Nahrungsmittel kurzzeitig ionisierenden, d.h. mit elektrisch geladenen Atomteilchen bestückten Gammastrahlen ausgesetzt. Deren Energie vernichtet Mikroben oder Parasiten, die den Fäulnisprozess in Gang setzen. Außerdem verhindert die Bestrahlung das Auskeimen von Kartoffeln und verzögert das Reifen von Obst und Gemüse.

Die Lebensmittel werden durch die Bestrahlung nicht radioaktiv, wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamine, Aminosäuren, ungesättigte Fettsäuren und Geschmacksstoffe können jedoch verändert oder zerstört werden. Möglicherweise entstehen durch die Gammastrahlen krebserregende Substanzen wie Formaldehyd. Während der EG-Ministerrat das Verfahren für unbedenklich hält und anführt, dass dadurch teilweise auf chemische Konservierung verzichtet werden könne, ist die Lebensmittelbestrahlung in der Bundesrepublik nur bei steriler Krankenkost erlaubt.

Jedoch nicht nur die Bestrahlung, sondern auch Zusatzstoffe in Lebensmitteln bergen das Risiko der Gesundheitsgefährdung. Pflanzenschutzmittel und künstlicher Dünger in der Landwirtschaft, Futterbeimengungen wie Medikamente und Hormone in der Tierzucht, aber auch Stoffe zur Konservierung von Nahrungsmitteln landen letztlich auf dem Esstisch oft genug mit unabsehbaren Folgen. So wird im Juni 1989 in den USA ein Spray aus dem Verkehr gezogen, mit dem roten Äpfeln ein besonderer Glanz verliehen werden kann. Die in dem Mittel enthaltenen Substanzen haben sich im Tierversuch als krebserregend erwiesen.

Probleme bereitet auch die Massentierhaltung. Zwar gibt es 1989 keinen großen Hormonskandal, wie sie in der Tierzucht in den letzten Jahren geradezu üblich waren, dafür werden Anfang des Jahres die USA und Großbritannien von einer Salmonellen-Epidemie heimgesucht, die vermutlich auf verseuchte Eier und Hühner aus Massentierhaltung zurückzuführen ist.

Chroniknet