Neues zur Antimaterie und Überlichtgeschwindigkeit

Wissenschaft und Technik 1996:

Wie generell in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gelingen auch 1996 zahlreiche bedeutende Entdeckungen und Erkenntnisse auf dem Gebiet der Physik, einschließlich der Astrophysik.

Weltweites Aufsehen erregt unter den Naturwissenschaftlern am 5. Januar die Mitteilung des Europäischen Laboratoriums für Teilchenphysik CERN in Genf, dass es dem dort tätigen Walter Oelert vom deutschen Forschungszentrum in Jülich gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Nürnberg-Erlangen, der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt und der Universität Genua bereits im September des Vorjahrs gelungen sei, erstmals Antimaterie herzustellen, d. h. aus den sie aufbauenden Antimaterie-Partikeln zusammenzusetzen. Neun dieser Atome wurden bei Kollisionen zwischen Antiprotonen und Xenon-Atomen während einer dreiwöchigen Versuchsperiode erzeugt. Jedes einzelne existierte rd. 40 Milliardstelsekunden, wanderte nahezu mit Lichtgeschwindigkeit etwa 10 m weit und zerstrahlte dann beim Zusammenstoß mit normaler Materie zu Energie. Bei den hergestellten Antimaterieatomen handelte es sich um Anti-Wasserstoff. Auf Überraschung stößt auch die Entdeckung des Physikers Günter Nimtz an der Universität Köln, dass es einen Informationsübertragungsmechanismus mit Überlichtgeschwindigkeit – in seinem Experiment: Klänge von Mozart – gibt. Das Phänomen ist ursächlich noch nicht geklärt. Vermutet wird ein sog. Tunneleffekt. Neben den Naturwissenschaftlern beschäftigt das Phänomen auch die Philosophen, denn bei unendlicher Informationsübertragungsgeschwindigkeit fallen Ursache und Wirkung zeitlich zusammen. Sie werden also vertauschbar.

Ein weiteres bisher unbekanntes Phänomen entdecken Physiker am französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Grenoble und des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart: Den Photonen-Hall-Effekt. Bereits 1980 hatte Klaus von Klitzing, der heutige Leiter des Stuttgarter Instituts, erstmals den Quanten-Hall-Effekt beobachtet, wofür er 1985 den Nobelpreis erhielt. Der nun entdeckte Photonen-Hall-Effekt ist eine eindrucksvolle neue Variante des Phänomens: Schickt man einen Strom von Photonen (Lichtteilchen) durch ein streuendes Medium und legt senkrecht dazu ein Magnetfeld an, dann erhält man einen neuen Strom von Photonen in einer Richtung senkrecht zum originalen Lichtstrahl und zum Magnetfeld. Das heißt, dass sich Photonen innerhalb eines solchen Mediums in einem Magnetfeld so bewegen, als besäßen sie eine elektrische Ladung. Das überrascht, denn Photonen sind als ungeladene Partikel bekannt.

Den deutschen Astronomen Andreas Eckart und Reinhard Genzel gelingt es erstmals, ein massereiches Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße überzeugend nachzuweisen. Bisherige »Beweise« beschränkten sich auf durch Indizien gestützte Mutmaßungen. In dem beobachteten Schwarzen Loch sind 2,5 Mrd. Sonnenmassen fast punktförmig versteckt. Im umgebenden Raum von drei Lichtjahren Ausdehnung beträgt die Materiemasse eine Billion Sonnenmassen; Voraussetzung für diese Entdeckung waren Beobachtungen im Infrarotbereich von Raumflugkörpern aus. Aufsehen unter den Astronomen erregt auch ein Meteoritenfund in der Antarktis, den US-amerikanische Wissenschaftler machen. Anzeichen sprechen dafür, dass dieser Stein vom Mars stammt und rund 3,6 Mrd. Jahre alt ist. Viele Wissenschaftler glauben, dass der Meteorit Spuren von einzelligen Lebewesen aufweist, die ebenso alt sind wie der Stein und deshalb auf dem Mars entstanden sein müssten. Doch was 1996 noch als »bewiesen« gilt, wird 1998 infrage gestellt.

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