Reklame für die Reklame

Werbung 1998:

Angesichts zu erwartender gesetzlicher Beschränkungen der Werbung und einer offensichtlichen Reklamemüdigkeit der Bevölkerung, besonders bei TV-Spots, startet die deutsche Werbewirtschaft 1998 eine Imagekampagne für die eigene Branche.

Ein harter Schlag für die Werbeagenturen ist die am 13. Mai vom Europaparlament in Straßburg gebilligte EU-Richtlinie, mit der schrittweise die Werbung für Tabak und Tabakprodukte auf Plakaten, in Zeitungen und Kinos untersagt und bis 2006 der Tabakindustrie auch das Sponsoring von Sportgroßveranstaltungen verboten wird. Die Werbewirtschaft fürchtet den Verlust von 23 000 Arbeitsplätzen und erklärt, in einer liberalen Gesellschaft müsse für legale Produkte auch legal geworben werden dürfe. Die scheidende CDU/CSU/FDP-Bundesregierung, von Anbeginn eine Gegnerin der EU-Regelung, reicht noch im Oktober beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen das Tabakwerbeverbot ein; Begründung: Es greife in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit der Werbetreibenden ein. Bis Jahresende ist über die Klage nicht entschieden.

Auf Protest der Bundesregierung und des Gesamtverbandes Werbeagenturen (GWA) stoßen auch Pläne der EU-Kommission, die Autoreklame einzuschränken – einen ersten Vorstoß in diese Richtung unternimmt Verkehrskommissar Neil Kinnock mit der Anregung, die Werbewirtschaft solle sich selbst verpflichten, nicht zu gefährlicher oder unsozialer Fahrweise zu animieren.

Mit einer Aufklärungskampagne setzt sich der Agenturverband gegen solche Angriffe des Gesetzgebers auf die Werbewirtschaft zur Wehr; er will deutlich machen, dass Werbung ein zulässiges Vertriebsinstrument ist und dazu beiträgt, Preise für Medien (durch die Einnahmen aus Werbespots oder Anzeigen) und Produkte (durch Förderung der Konkurrenz) niedrig zu halten. Mit der Kampagne soll auch dem Überdruss der Bundesbürger insbesondere an der TV-Werbung – nur jeder fünfte Deutsche findet nach einer Umfrage Reklame nützlich – begegnet werden.

Trotz aller Klagen – die Werbebranche ist weiterhin auf Wachstumskurs. Deutsche Unternehmen investieren im ersten Halbjahr 1998 mehr als 14 Mrd. DM in Werbung; allein im Bereich Fernsehen und Rundfunk liegt die Steigerung gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs bei 8,7%. Auch für die Zukunft sind nach Ansicht von Experten überdurchschnittliche Zuwächse zu erwarten, da durch die neue europäische Einheitswährung Euro der Preisvergleich erleichtert und damit der internationale Wettbewerb der Unternehmen verschärft werde, und gute Werbung sei das beste Mittel, um sich vom Konkurrenten abzusetzen. Zudem werde das rapide Wachstum der Reklame im Internet der Werbebranche zugutekommen.

Auf dem traditionellen Feld der Plakat-, Zeitschriften- und Zeitungswerbung werden Homosexuelle als neue und – da in der Regel kinderlos – überdurchschnittlich zahlungskräftige Zielgruppe entdeckt. So wirbt z. B. Jacobs Suchard in Schwulen-Szeneblättern mit einem freundlich lächelnden jungen Mann und dem Slogan »Typisch Kaffeetante« für seinen Kaffee.

Schon länger hat die Wirtschaft erkannt, dass Jugendliche zwar aktuell vielleicht nicht über viel Geld verfügen, dass eine frühe Markenbindung für den Erfolg eines Produkts jedoch entscheidend sein kann. Hier beschäftigen sich Kreative 1998 mit der Frage der Anrede: Ist ein Slogan wie »Ich trink Ouzo. Was machst du so?« passend, oder sollte man das kumpelhafte Duzen auch bei Werbung für Jugendliche vermeiden?

Im Wahljahr 1998 ist Werbung mit politischen Anspielungen gefragt. Auf die Gründung einer »Burger-Initiative« durch die Fastfood-Kette McDonald’s reagiert Konkurrent Burger King mit der BKD; die einem Parteikürzel gleichende Abkürzung steht für »Burger King Deutschland«.

Chroniknet