Politik und Gesellschaft 2005:
Viele Bezieher von ALG II müssen, das steht bei der gesamten Kostendiskussion außer Frage, massive Einschränkungen hinnehmen, da sich die neue Transferleistung an der Bedürftigkeit orientiert. Infolgedessen ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes noch größer geworden, und auch die Bereitschaft von Arbeitnehmern und Gewerkschaften, sich mit geringeren Lohnsteigerungen zufriedenzugeben oder sogar Einbußen hinzunehmen, ist offenbar gewachsen.
Eine 2005 gern praktizierte Form solcher faktischen Lohnsenkungen ist die Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich. So wird z. B. bei der Deutschen Bahn im Zuge eines »Beschäftigungspakts« die Arbeitszeit zum 1. Juli von 39 auf 40 Wochenstunden heraufgesetzt, und ab dem 1. Januar 2006 müssen die Beschäftigten des Baugewerbes ebenfalls eine Stunde länger und damit 40 Wochenstunden arbeiten, ohne dass sie mehr Geld erhalten. Die IG BAU stimmt nach über einem Jahr Verhandlungen im Juni einer solchen Regelung im Rahmen eines Gesamtpakets zu, das die Mindestlöhne festschreibt, das Winterausfallgeld neu regelt, leichte Kürzungen beim Urlaubsgeld bringt und Lohnerhöhungen von 1% in den alten Bundesländern von April 2006 an vorsieht. Angesichts der ins fünfte Jahr gehenden Krise in der deutschen Bauwirtschaft sah IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel zu diesen Zugeständnissen keine Alternative. Nach Angaben der Arbeitgeber sinken ihre Lohnkosten durch die Arbeitszeitverlängerung im Schnitt um 2,5%. Es ist die erste für eine ganze Branche vereinbarte flächendeckende Mehrarbeit ohne Lohnausgleich in der deutschen Tarifgeschichte.
Hingegen einigen sich die Tarifparteien in der Druckindustrie im Juni darauf, dass der Flächentarifvertrag und die 35-Stunden-Woche erhalten bleiben. Dafür akzeptiert die Gewerkschaft ver.di zwei Lohnerhöhungen von nur jeweils 1% binnen 24 Monaten. Eine satte Lohnerhöhung von 3,5% ab September sieht hingegen die im Mai getroffene Tarifeinigung in der boomenden Stahlindustrie vor.