+++ VOR 106 JAHREN +++
In den Hauptstädten der deutschen Länder und Staaten übernehmen Arbeiter und Soldaten die Macht. Wie ein Kartenhaus brechen jahrhundertealte Monarchien zusammen.
Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann proklamiert um 14 Uhr von einem Balkon des Reichstags die deutsche Republik. Kaiser Wilhelm II., der letzte Monarch aus der Hohenzollern-Dynastie, dankt ab und geht ins niederländische Exil.
Überall in Deutschland hatten sich in den Tagen zuvor revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Es war ersichtlich, dass diejenige Partei, die diese Gruppen hinter sich vereinigt, die Macht in der neu zu gründenden Republik übernehmen wird. SPD und die linksorientierte Abspaltung USPD schaffen dies im Bündnis.
Die SPD fürchtet, den Kontakt mit der Arbeiterschaft zu verlieren. Daher solidarisiert sie sich – obgleich von den revolutionären Ereignissen überrascht – mit der Revolution. Am Morgen des 9. November traten die SPD-Staatssekretäre aus der Regierung des Prinzen Max von Baden aus. Der Parteivorstand beschließt, Verhandlungen mit den Arbeiter und Soldatenräten aufzunehmen und eine Volksregierung zu bilden.
Die erste republikanische Regierung, der »Rat der Volksbeauftragten« setzt sich am 10. November aus drei SPD- und drei gemäßigten USPD-Mitgliedern zusammen. Der SPD-Führer Friedrich Ebert wird Reichskanzler. Dass der Vertreter des linken USPD-Flügels Karl Liebknecht zwei Stunden nach Scheidemann die freie sozialistische Republik ausruft, bleibt politisch ohne Konsequenzen.
Die neue Regierung beschließt am 12. November die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheitsrechte, zum Beispiel Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Die Parteien der bürgerlichen Mitte – Zentrum, Fortschrittspartei und der linke Flügel der Nationalliberalen – besetzen nach wie vor entscheidende Positionen in den Verwaltungen. Angesichts der Revolution überlassen sie den Sozialdemokraten die politische Führung. Der Reichstag ist, ohne aufgelöst zu sein, ausgeschaltet.
Reichskanzler Ebert will den geordneten Übergang von der Monarchie zu der parlamentarischen Demokratie. Dazu bieten ihm Militär und Beamtenschaft ihre Hilfe an, die Ebert annimmt. Interesse des Militärs ist es, eine Revolution nach sowjetischem Vorbild zu verhindern.