9. November 1989: »Der Tag der Deutschen«: Nach 28 Jahren fällt die Mauer

9. November 1989: »Der Tag der Deutschen«: Nach 28 Jahren fällt die Mauer
10. November 1989: Von der Nacht des 9. bis zum Morgen des 11. Novembers hielt eine feiernde Menschenmenge die Mauer am Brandenburger Tor besetzt. - Lear 21 at English Wikipedia [GFDL or CC BY-SA 3.0]

+++ VOR 35 JAHREN +++

Mit der Öffnung der DDR-Grenze zum Westen beginnt für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands eine neue Ära. Mauer und Stacheldraht trennen sie nicht mehr.

Der SED-Chef von Ost-Berlin, Günter Schabowski, verkündet in einer vom DDR-Fernsehen übertragenen Pressekonferenz um 18:57 Uhr fast beiläufig den Beschluss des DDR-Ministerrates, wonach DDR-Bürger ohne besondere Voraussetzungen ins Ausland, also auch nach West-Berlin und in die Bundesrepublik, ausreisen dürfen. Die Nachricht, die Reisefreiheit und letztlich den Fall der Mauer bedeutet, schlägt in aller Welt wie eine Bombe ein. Eine unüberschaubare Menge von DDR-Bürgern überschwemmt die Kontrollstellen.

Botschaftsflüchtlinge:

Seit August 1989 haben Fluchtbewegungen über ausländische Botschaften ständig zugenommen. Die Situation in den bundesdeutschen Botschaften in Warschau und Prag hatte sich im September dramatisch zugespitzt. Die DDR-Bürger, die zu Tausenden über den Zaun in den Garten der Prager Botschaft geflüchtet waren, konnten nur notdürftig in Zelten untergebracht werden. Am 30. September überbrachte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher die bejubelte Nachricht von der in Verhandlungen mit Prag und Ost-Berlin erreichten Ausreiseerlaubnis. Noch in der Nacht beförderten Sonderzüge der DDR-Reichsbahn über 6000 Menschen in die Bundesrepublik Deutschland.

Massendemonstration:

Bei der größten Kundgebung in der Geschichte der DDR forderten am 4. November auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz rd. 1 Mio. Menschen u.a. freie Wahlen, Meinungsfreiheit, die Abschaffung des Machtmonopols der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), den Rücktritt der Regierung und die Zulassung von Oppositionsgruppen. Das DDR-Fernsehen sendete unangekündigt eine dreistündige Direktübertragung. Die Veranstaltung machte deutlich, dass die DDR-Bürger das Klima der Angst vor politischer Verfolgung überwunden haben und voller Entschlossenheit eine Reform des bestehenden Staatswesens verlangen. Das Thema Wiedervereinigung wurde auf Transparenten und in Reden nicht aufgegriffen.

Auf der Abschlusskundgebung sprachen viele prominente Persönlichkeiten und Vertreter der Opposition wie Christa Wolf, Stefan Heym, Christoph Hein, Steffi Spira und der Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Auch kamen führende Repräsentanten des Systems zu Wort. Der ehemalige Geheimdienstchef Markus Wolf und Günter Schabowski wurden jedoch durch Buhrufe und Pfeifkonzerte mehrfach am Weiterreden gehindert.

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Zeitungen zum 09.11.1989

DDR-Regierungswechsel:

Unter dem Druck der Ausreisewelle und der sog. Leipziger Montagsdemonstrationen tritt Erich Honecker am 18. Oktober nach 18-jähriger Amtszeit »aus gesundheitlichen Gründen« als SED-Generalsekretär zurück. Sein Nachfolger wird Politbüromitglied Egon Krenz der am 24. Oktober auch das Amt des Staatsratsvorsitzenden übernimmt.

Die Entscheidung für Egon Krenz wird in der DDR mit Enttäuschung quittiert, da der 54-jährige ehemalige FDJ-Chef innerhalb der SED eher den politischen Hardlinern zugerechnet wird. Insbesondere der Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 für deren Organisation er zuständig war und die Verteidigung des Massakers in Peking (4.6.1989) belasten ihn. Nach seinem Amtsantritt zeigte sich Krenz jedoch sichtlich um Reformen und Dialogbereitschaft bemüht. Am 8. November, dem Tag vor der Maueröffnung tritt das Politbüro der SED geschlossen zurück.

Freudentaumel:

Unter dem Ansturm der Menschen öffnen sich um 23.14 Uhr in Berlin die Schlagbäume. Tausende DDR-Bürger strömen in den Westen. Sie werden von West Berliner mit Sekt und Jubel empfangen. An den Sektorenübergängen spielen sich bewegende Szenen ab, Fremde fallen sich weinend um den Hals. Nach einer durchfeierten Nacht hält der Regierende Bürgermeister von Berlin Walter Momper (SPD), eine Rede in der er formuliert: »Gestern Nacht war das deutsche Volk das glücklichste Volk auf der Welt«.

Zukunft offen:

Mit dem Fall der Mauer und den tiefgreifenden Politischen Veränderungen in der DDR stellt sich die Frage nach der Gestaltung einer gemeinsamen deutschen Zukunft. Dazu gibt es in Ost und West gegensätzliche Vorstellungen. Während die einen die Eigenstaatlichkeit der DDR aufrechterhalten wollen, mehren sich zum Jahresende die Stimmen derjenigen, die ein »einig Vaterland«, d.h. die Wiedervereinigung, fordern.

Hintergrund:

»Der europäische Kosmos hat sich über Nacht verändert« Die Kommentatoren der internationalen Presse signalisieren zu den historischen Ereignissen verhaltene Zustimmung. An beide deutsche Staaten ergeht die Aufforderung, ihren Platz in Europa neu zu definieren.

»Independent« (London): »Es war nicht nur die Landschaft der europäischen Politik, die sich in der Vergangenen Nacht plötzlich verändert hat. Es war der europäische Kosmos. Für die meisten heute lebenden Europäer hat die Welt immer an der Ostdeutschen Grenze und der Mauer geendet: Auf der an. deren Seite waren Dunkelheit und Dämonen. Die Öffnung der Grenze sagt nun, dass die Welt keinen Rand mehr hat. Europa ist wieder rund und ganz geworden.«

»Le Figaro« (Paris): »Deutschland wird wieder ein Land mit 80 Millionen Menschen werden, bei weitem das leistungsfähigste und stärkste in Europa. Es wird der Hauptpartner Russlands werden … Das Gleichgewicht zwischen Frankreich und Deutschland, das zu Beginn des europäischen Aufbaus geschaffen und das recht und schlecht beibehalten wurde, wird zerbrechen. Man wird ein anderes finden müssen.»

»New York Times« »Sie tanzten, weil der tragische Zyklus von Katastrophen, … zu dem zwei Weltkriege, der Holocaust und der Kalte Krieg gehörten, sich endlich dem Ende zu nähern scheint«

»Jediot Acharonot« (Jerusalem): »Checkpoint Charlie, der schreckliche, … zwischen Stacheldraht gedrängte … Grenzübergang wird in einen Treffpunkt des Friedens und des Dialogs zwischen beiden Teilen des deutschen Volkes verwandelt. Die Realität entwickelt sich schneller als jede Phantasie. Adieu Mauer«.

Chroniknet