1.6.1900, Freitag
Wegen der Anschläge der christen- und fremdenfeindlichen chinesischen Geheimgesellschaft der Boxer werden europäische Bewaffnete als Patrouillen im Gesandtschaftsviertel von Peking eingesetzt.
Wegen der Anschläge der christen- und fremdenfeindlichen chinesischen Geheimgesellschaft der Boxer werden europäische Bewaffnete als Patrouillen im Gesandtschaftsviertel von Peking eingesetzt.
In den USA wird eine Volkszählung durchgeführt. Das Land hat 76,3 Millionen Einwohner (statt 63,0 im Jahr 1890).
In London wird die 11,3 km lange elektrische U-Bahn-Strecke zwischen Notting Hill und der Innenstadt dem Verkehr übergeben.
Der russische Innenminister Dmitri S. Sipjagin bestimmt, dass vom 14. August 1900 an die finnischen Briefmarken auf Auslandspost durch russische Briefmarken ersetzt werden.
Die niederländische Erste Kammer in Den Haag verwirft einen von der Zweiten Kammer beschlossenen Gesetzentwurf über die Arbeiterversicherung, weil nach ihrer Ansicht die Beteiligung der Arbeitgeber an den Versicherungsbeiträgen nicht zulässig ist.
Der französische Senat in Paris genehmigt eine Amnestievorlage über die Dreyfus-Affäre. Zahlreiche Prozesse müssen nun eingestellt werden.
Bei den Provinzialratserneuerungswahlen zum belgischen Senat werden 15 klerikale sowie elf sozialdemokratische und liberale Senatoren gewählt. Im Senat sind nun 58 Klerikale sowie 44 Sozialdemokraten und Liberale vertreten.
In der französischen Stadt Chalon-sur-Saône kommt es bei einem Streik zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Militär.
Im Norden Chinas kommt es zu schweren Gefechten zwischen Mitgliedern der christen- und fremdenfeindlichen Geheimgesellschaft der Boxer und Kosaken.
Sieger des traditionellen Union-Galopprennens im Berliner Hoppegarten wird “Pomp” unter Jockey Ballantine aus dem königlichen Hauptgestüt.
Feldmarschall Frederick Sleigh Roberts, der britische Oberbefehlshaber in Südafrika, besetzt ohne Widerstand Pretoria, die Hauptstadt der Südafrikanischen Republik.
Während der Schlusssitzung der finnischen Volksvertretung in Helsingfors (Helsinki) fordert der Vorsitzende des Bürgerstands den russischen Zaren Nikolaus II. als den Souverän des Großfürstentums Finnland auf, die bestehende Gesellschaftsordnung des Großfürstentums zu wahren und den Petitionen der Stände Gehör zu schenken. – Die Rede erregt Missfallen in Petersburg (Leningrad).
Die Konferenz über das höhere Schulwesen, die bis zum 8. Juni unter dem Vorsitz des preußischen Unterrichtsministers Konrad Studt in Berlin tagt, spricht sich grundsätzlich für die Gleichstellung der Abiturienten von Realgymnasien und humanistischen Gymnasien aus.
Bis zum 8. Juni tagt in Karlsruhe, der Hauptstadt des Großherzogtums Baden, der Evangelisch-Soziale Kongress. Das zentrale Thema lautet: “Was muss geschehen, um unsre, der Volksschule entwachsene männliche Jugend stärker als bisher auf die religiösen, nationalen und wirtschaftlichen Aufgaben unseres Volkslebens vorzubereiten?”
Der preußische Finanzminister Johannes von Miquel weist bei der Eröffnung der Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft in Posen, der Hauptstadt der gleichnamigen preußischen Provinz, auf die Bedeutung der Kultur und der Landwirtschaft der östlichen Landesteile für das Deutsche Reich hin.
In Krakau wird der 500. Gründungstag der Universität gefeiert. An den Festlichkeiten nehmen Vertreter deutscher, deutsch-österreichischer, britischer, französischer, russischer u.a. Hochschulen teil. Die Universität Krakau wurde 1364 von dem polnischen König Kasimir dem Großen gegründet und 1400 von König Wladislaw II. Jagello neu gegründet.
In Brüssel beschließt eine internationale Kommission Maßregeln zur Einschränkung der Alkoholexporte nach Afrika.
Kurz nach Mitternacht erklärt der österreichische Ministerpräsident Ernest von Koerber den Reichsrat in Wien für geschlossen. Durch Lärmen und andere Arten von “Obstruktion” haben die Tschechen verhindert, dass der von der Regierung vorgelegte provisorische Haushalt verabschiedet wird.
Der russische Zar Nikolaus II. befiehlt die Einrichtung eines Armeekorps für Sibirien.
In der Kreisstadt Konitz in Westpreußen wird nach Ausschreitungen gegen Juden das Standrecht proklamiert. Die Juden werden von der Bevölkerung beschuldigt, an dem Gymnasiasten Ernst Winter, dessen Leiche am 13. März bestialisch zerstückelt aufgefunden worden ist, einen Ritualmord verübt zu haben. Obwohl die Regierung eine Belohnung von 26 000 Mark ausgesetzt hat, finden sich keine Hinweise auf den tatsächlichen Mörder.
Der britische Vizeadmiral Edward Hobart Seymour bricht mit einem internationalen Korps von 2000 Mann von der nordostchinesischen Stadt Tientsin nach Peking auf, um die Europäer vor den Anschlägen der christen- und fremdenfeindlichen Geheimgesellschaft der Boxer zu schützen. Von Seymour stammt der bekannte Ausspruch “Germans to the Front” – “Die Deutschen an die Spitze!”
Bei den Parlamentswahlen in Italien behält die Regierung des Ministerpräsidenten Luigi Pelloux die Mehrheit. Die oppositionellen Sozialisten verzeichnen jedoch große Stimmengewinne.
Der Deutsche Reichstag in Berlin nimmt die Tirpitzsche Flottenvorlage an, die eine Verdoppelung der deutschen Hochseeflotte vorsieht.
Die Sitzungsperiode des Deutschen Reichstags wird nach der Annahme der Flottenvorlage beendet.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. nimmt an der 700-Jahr-Feier des Mansfelder Bergbaus teil. Dabei wird ihm ein Ehrentrunk gereicht aus einem Becher, den König Gustav I. von Schweden dem Reformator Martin Luther schenkte.
Dem deutschen Vizeadmiral und Staatssekretär Alfred Tirpitz wird nach der Bewilligung der von ihm initiierten Flottenvorlage durch den Deutschen Reichstag am Vortag der erbliche Adelstitel verliehen.
Erbgroßherzog Peter von Oldenburg stirbt. Die Herrschaft übernimmt sein Sohn August.
Das preußische Herrenhaus in Berlin genehmigt die am 19. Mai vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Vorlage über die Warenhaussteuer mit der Änderung, dass die Steuer erst bei einem Umsatz von 400 000 – statt 300 000 – Mark erhoben werden soll.
Mitglieder der christen- und fremdenfeindlichen Geheimgesellschaft der Boxer zerstören in Peking Kapellen und Missionshäuser und ermorden mehrere chinesische Christen. Die Schutzwachen und Freiwilligen der europäischen Gesandtschaften eröffnen das Feuer auf die Gewalttäter.
Hawaii erhält den Status eines Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika.
Das sächsische Ministerium beschließt, vom 1. Juli an weibliche Vertrauenspersonen für die staatliche Gewerbeaufsicht anzustellen.
Der Franzose François Charron gewinnt auf Panhard den ersten Gordon-Bennett-Preis in Paris.
Die britisch-französische Kommission, die seit 21. Februar die Grenze zwischen dem französischen Dahome und der aufgelösten englischen Nigerkompanie neu festlegt, beendet ihre Arbeit.
Die französische Regierung Pierre Waldeck-Rousseau kommt zum Abschlus einer Debatte über die Arbeiterunruhen in Chalon-sur-Saône am 3. Juni mit knapper Mehrheit an einer Abstimmungsniederlage vorbei. Die in der Regierung ebenfalls vertretenen Sozialisten hatten gefordert, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Den preußischen Eisenbahnarbeitern wird untersagt, dem sozialdemokratischen Verband der Eisenbahner Deutschlands beizutreten.
In Lübeck wird in Gegenwart von Kaiser Wilhelm II. der Elbe-Trave-Kanal (Elbe-Lübeck-Kanal) eröffnet.
Der russische Polarforscher Eduard von Toll schifft sich in Petersburg (Leningrad) auf der “Sarja” mit 60 Polarhunden und Vorräten für 1200 Tage für eine Expedition nach den Neusibirischen Inseln und nach Sannikowland ein.
Nach der Eroberung von Johannesburg am 31. Mai und von Pretoria am 5. Juni durch Großbritannien erlahmt der Widerstand der Buren. Mit Unterstützung der Bevölkerung führen Christiaan Dewet u.a. Burenführer jedoch einen Guerillakrieg gegen die britische Kolonialmacht. Feldmarschall Frederick Sleigh Roberts, der britische Oberbefehlshaber in Südafrika, ordnet das Niederbrennen der Burenfarmen an.
Mitglieder der christen- und fremdenfeindlichen Geheimgesellschaft der Boxer sowie chinesische Soldaten eröffnen von den Taku-Forts, die den Zugang zu Tientsin und Peking beherrschen, das Feuer auf die europäischen Kriegsschiffe im Golf von Petschili. Die Europäer erstürmen einen Tag später die Taku-Forts.
Der italienische Ministerpräsident Luigi Pelloux – er ist seit 1898 im Amt – tritt zurück, weil er über keine sichere Mehrheit im Parlament mehr verfügt. Am 24. Juni findet die Neuwahl des Ministerpräsidenten statt.
Gordon Sprigg, der schon dreimal Premierminister der Kapkolonie war, bildet ein vorwiegend britisches Ministerium, das von den gemäßigten Afrikaandern unterstützt wird und eine Mehrheit im Parlament besitzt. Premierminister William Philipp Schreiner ist zurückgetreten, nachdem seine Forderung nach rigoroser Bestrafung der Aufständischen vom Parlament abgelehnt worden war.
Das ungarische Abgeordnetenhaus in Pest berät die Lage in China. Ministerpräsident Koloman Széll erklärt 25 österreichische und ungarische Soldaten seien nach China geschickt worden, um den einheimischen Gesandten und Konsulen Schutz zu gewähren. Weitergehende Aktionen Österreich-Ungarns seien nicht geplant.
Das preußische Abgeordnetenhaus in Berlin genehmigt das vom Herrenhaus am 13. Juni geänderte Gesetz über die Warenhaussteuer, das am 18. Juli in Kraft tritt.
In Paris beginnt ein viertägiger internationaler Kongress für Arbeiterwohnungswesen.
König Oskar II. von Schweden und Norwegen kehrt von einem zweimonatigen Aufenthalt in London und Paris zurück. Auf Pressemeldungen, der König habe sich während des Londonaufenthalts abfällig über die Buren geäußert, lässt das schwedische Außenministerium erklären, der König habe in dieser Angelegenheit nicht als Staatsoberhaupt, sondern als Privatperson gesprochen.
Fürst Ferdinand von Bulgarien schränkt die Pressefreiheit ein, um die Agitation gegen die Regierung zu unterbinden. Zur Abwendung des drohenden Staatsbankrotts hatte die bulgarische Nationalversammlung ein Zehntgesetz beschlossen, das den erbitterten Widerstand der Bauern hervorrief. Dabei kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Bauern und Militär.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. erlässt den Befehl zur Mobilmachung der Marine-Infanterie und zu ihrer Entsendung nach China. Der Panzerkreuzer “Fürst Bismarck” und das Kanonenboot “Luchs” erhalten ebenfalls Befehl, nach China auszulaufen.
Die chinesische Regierung fordert die europäischen Gesandten in Peking auf, das Land binnen 24 Stunden zu verlassen.
Klemens Freiherr von Ketteler, der deutsche Gesandte in Peking, wird während des Boxeraufstands in Peking auf offener Straße erschossen.
Ein Manifest des russischen Zaren Nikolaus II. bestätigt die Beschlüsse über die Einführung der russischen Sprache im Großfürstentum Finnland vom 7. Juni. Ab 1. Oktober 1900 sollen sich das finnische Staatssekretariat, die finnische Polarexpedition in Petersburg (Leningrad) und die Kanzlei des russischen Generalgouverneurs von Finnland ausschließlich der russischen Sprache bedienen.
Die Kieler Woche wird eröffnet. Sie dauert bis 1. Juli.
Wegen der seit Mai in Madrid andauernden katalonisch-separatistischen Unruhen wird über die Stadt der Belagerungszustand verhängt.
Die Republikanische Partei des amtierenden US-Präsidenten William McKinley stellt in Philadelphia ihr Programm für die Präsidentschaftswahlen am 6. November vor.
Der französische Senat in Paris genehmigt gegen den Widerspruch der Nationalisten und der Konservativen ein Gesetz, nach dem Beleidigungen des Staatspräsidenten der Republik, der Parlamentsabgeordneten und hoher Beamter durch die Presse nicht mehr von Geschworenen, sondern von der Zuchtpolizei abgeurteilt werden sollen.
Die chinesische Gesandtschaft in Berlin teilt offiziell mit, der – bereits am 20. Juni ermordete – deutsche Gesandte in Peking, Klemens Freiherr von Ketteler, sei in Sicherheit und befinde sich wohlauf.
Der Gouverneur des Schutzgebiets Deutsch-Ostafrika, der am 1. Januar mit dem erblichen Adelstitel ausgezeichnete Generalmajor Eduard von Liebert, tritt zurück. Seine Verwaltungsmaßnahmen werden von der “Kolonialen Zeitung” scharf kritisiert, viele Zeitungen verteidigen ihn jedoch.
Der 500. Geburtstag von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Metallettern, wird mit Feiern und Gedenkveranstaltungen begangen.
Auf dem von rund 60 000 Menschen besuchten tschechischen Volkstag in Münchengrätz (Mnichowo Hradište) wird der Kampf gegen die Sprachengesetze des österreichischen Ministerpräsidenten Ernest von Koerber beschlossen. Die Haltung der tschechischen Sozialdemokratie und der Tschechischen Volkspartei wird verurteilt.
Giuseppe Saracco wird neuer italienischer Ministerpräsident als Nachfolger des am 18. Juni zurückgetretenen Luigi Pelloux.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. erlässt an Bord seiner Yacht “Hohenzollern” in Kiel zwei Kabinettsorders über die Bildung eines Expeditionskorps nach China.
Die Lex Heinze, eine Novelle zum deutschen Strafgesetzbuch, die Strafbestimmungen für Sittlichkeitsverbrechen wie Kuppelei und Zuhälterei erweitert und ergänzt, tritt in Kraft.
Der Führer der portugiesischen Konservativen, Ernst Rudolf Hintze-Ribeiro, bildet nach dem Rücktritt von José Luciano de Castro am 21. Juni ein neues Kabinett. Hintze-Ribeiro war bereits von 1893 bis 1897 Ministerpräsident.
In Paris tritt der Internationale Kongress für soziale Arbeiterversicherung zusammen. Er beschließt, künftig alle drei Jahre zu tagen.
Der britische Vizeadmiral Edward Hobart Seymour, der am 10. Juni mit einem internationalen Korps von 2000 Mann von der nordostchinesischen Stadt Tientsin nach Peking aufgebrochen ist, um die Europäer im Kampf gegen die christen- und fremdenfeindliche Geheimgesellschaft der Boxer zu unterstützen, kehrt geschlagen nach Tientsin zurück.
König Wilhelm II. von Württemberg verabschiedet in Stuttgart die Freiwilligen der württembergischen Regimenter, die an der chinesischen Expedition zur Niederschlagung des Boxeraufstands teilnehmen.
Der französische Chemiker Marcelin Berthelot, einer der Begründer der synthetischen organischen Chemie, wird Mitglied der Académie française als Nachfolger des am 3. April verstorbenen Mathematikers Joseph Bertrand.
Der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand legt in der Geheimen Ratsstube der Wiener Hofburg den Eid ab, für seine Kinder aus der nicht ebenbürtigen Ehe mit der Gräfin Sophie Chotek auf die Nachfolge zu verzichten.
Die “Wiener Zeitung” veröffentlicht eine kaiserliche Verordnung, nach der die Regierung nach dem Notparagraphen 14 der Verfassung ermächtigt wird, bis Ende Dezember 1900 Steuern und Abgaben zu erheben.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. nimmt in Kiel eine Parade von 2400 ehemaligen Gardisten ab.
In Hiroshima schifft sich unter Oberst Fukushima, dem durch seinen sibirischen Ritt bekannt gewordenen ehemaligen Militärattaché der japanischen Gesandtschaft in Österreich-Ungarn in Wien, die erste japanische Brigade zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China ein.
Im britischen Unterhaus in London wird über die zum Teil katastrophale medizinische Versorgung während des Burenkriegs debattiert. George Wyndham, der Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, erwidert auf Vorwürfe der Liberalen, dass nur 21% der Lazarettinsassen an Typhus stürben, während sich diese Zahl in früheren Kriegen auf bis zu 32% belaufen habe.
Nach dem neuen deutschen Reichsseuchengesetz müssen gefährliche Krankheiten unverzüglich der zuständigen Polizeibehörde mitgeteilt werden.
Die deutsche Linienschifffahrtsgesellschaft Norddeutscher Lloyd erleidet durch einen Brand im Hafen von Hoboken bei New York schwere Verluste.
Überschwemmungen verursachen in den spanischen Provinzen Murcia, Almería und Alicante Schäden in Millionenhöhe.