Politik und Gesellschaft 1901:
Die Industrialisierung sowie Mechanisierung der letzten Jahrzehnte wirkt sich auf die gesamte Lebenswelt aus. Die Städte entwickeln sich zu einem unwirtlichen Konglomerat aus Stein, Beton und Technik, bei dem Bedürfnisse ihrer Bewohner oft zweitrangig bleiben. Daneben bestimmt die technische Entwicklung immer mehr das alltägliche Leben. Die Elektrizität, das Telefon und die ersten Automobile künden vom Beginn einer anderen Zeit. Selbst in das Bestattungswesen hält die »moderne Welt« Einzug: In Mannheim wird in diesem Jahr bereits das sechste deutsche Krematorium eröffnet.
Die technisch-industrielle Entwicklung verändert auch das Bewusstsein der Menschen. Nicht umsonst werden die Angehörigen des wilhelminischen Bürgertums als »Übergangsmenschen« (Martin Doerry) charakterisiert. Ihre ambivalente Einstellung – technische Fortschrittsgläubigkeit einerseits, konservative politisch-kulturelle Orientierung andererseits – zeigt die Doppelbödigkeit des allerorts postulierten »Fortschritts«.
![Wilhelm Conrad Röntgen, See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons](https://chroniknet.de/extra/wp-content/uploads/2015/08/Roentgen2-214x300.jpg)
Wilhelm Conrad Röntgen, See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons
Ihrer Zeit vorauseilend weisen Pablo Picasso, der seine ersten Bilder der »Blauen Periode« malt, Thomas Mann, der mit dem Roman »Buddenbrooks« an die Öffentlichkeit tritt sowie Physik-Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen den Weg in ein neues Zeitalter. Für das neue Jahrhundert stehen Persönlichkeiten wie Erich Ollenhauer, Walter Hallstein und Hirohito, aber auch Ödön von Horváth, Marlene Dietrich, Walt Disney und Clark Gable. Sie alle erblicken 1901 das Licht der Welt.
Eine eigenständige und unkonventionelle Reaktion auf Industrialisierung und gesellschaftlichen Umbruch bildet der in Steglitz (bei Berlin) begründete, vor allem von Schülern und Studenten aus dem Bildungsbürgertum getragene »Wandervogel«. Er gilt als Pionier der deutschen Jugendbewegung. Die Suche des »Wandervogels« nach naturnahen, einfachen und unabhängigen Lebensformen ist auch ein Protest gegen herkömmliche Umgangsformen im etablierten Bürgertum.