Noch herrscht das Korsett

Noch herrscht das Korsett
Dinner Kleid in weißem Tüll auf rosa transparent gestickte Rosengirlanden, Les Modes 1906, Photograph in Les Modes : Revue mensuelle illustrée des arts décoratifs appliqués à la femme. By Henri Manuel [Public domain], via Wikimedia Commons

Mode 1907:

Dinner Kleid in weißem Tüll auf rosa transparent gestickte Rosengirlanden, Les Modes 1906, Photograph in Les Modes : Revue mensuelle illustrée des arts décoratifs appliqués à la femme. By Henri Manuel [Public domain], via Wikimedia Commons

Dinner Kleid in weißem Tüll auf rosa transparent gestickte Rosengirlanden, Les Modes 1906, Photograph in Les Modes : Revue mensuelle illustrée des arts décoratifs appliqués à la femme. By Henri Manuel [Public domain], via Wikimedia Commons

1907 steht die Mode an einem Wendepunkt. Neues kündigt sich zwar bereits an, aber der gewohnte Stil wird favorisiert. Noch gibt die mondäne Bourgeoisie die »Sans-Ventre«-Linie, die Linie »ohne Bauch«, nicht auf.

Es ist das Korsett, das dem Körper eine höchst ungesunde S-förmige Haltung abverlangt, indem es den Oberkörper und damit den Busen nach vorn schiebt, den Bauch jedoch nach rückwärts presst und mit Hilfe eines starken Hohlkreuzes das Gesäß betont. Um die sehr künstliche Attitude zusätzlich zu betonen, haben fast alle Kleider einen hohen, steifen Stehkragen und eine lange Schleppe. Letztere wird in einem eleganten Schwung nach vorn gelegt, sodass der Körper jene dem Jugendstil entsprechende Verdrehung erhält. Die Stehkragen werden mit einer speziellen Spiralfeder glatt und steif gehalten. Bei eleganten Kleidern sind sie aus Pailletten, Perlen und kostbarer Spitze und werden separat angefertigt und an Gesellschaftstoilette oder Abendbluse geknöpft. Auch trägt man sie, gleichsam als Halsband, zu einem dekolletierten Abendkleid.

Ganz dem Stil entsprechend sind die Frisuren und Hüte gestaltet. Das ondulierte Haar ist zu einem weichen Knoten hochgesteckt. Darüber schweben überdimensionale Hüte, die reichlich mit Kunstblumen, Straußenfedern, den gekräuselten sog. Pleureusen, sowie mit Reiher- und Fasanenfedern garniert sind. Noch sind Sonnenschirme als Schutz für die unerlässliche, vornehme Blässe gefragt. Zu den Modistinnen ersten Ranges zählen Caroline Reboux, Levis und Legroux soeurs.

Les Modes 1907, Gelbes Tüllkleid mit goldenen Rosen bestickt und Goldgürtel . Foto Les Modes : Revue mensuelle illustrée des arts décoratifs appliqués à la femme. Léopold-Émile Reutlinger [Public domain], via Wikimedia Commons

Les Modes 1907, Gelbes Tüllkleid mit goldenen Rosen bestickt und Goldgürtel . Foto Les Modes : Revue mensuelle illustrée des arts décoratifs appliqués à la femme. Léopold-Émile Reutlinger [Public domain], via Wikimedia Commons

Der ganze Einfallsreichtum der Modeschöpfer und Schneiderinnen gilt der Abendgarderobe der Damen der Hautevolee. Stoffe wie schwere Seide, Spitzen über Voile und Samte sowie Inkrustationen, Applikationen und Einsätze, Kunstblumen und Perlstickerei sind es, die trotz der einheitlichen Silhouette eine enorme Vielfalt ausstrahlen. Die Abendtoiletten der Damen werden durch Fächer aus Straußenfedern oder Perlmutt mit Spitze, durch lange Spitzen- oder Glacéhandschuhe und durch eine flache Perl- oder Spitzenhandtasche mit silbernem Bügel und Kettchen ergänzt.

Couture-Salons, wie Béchoff-David, Doucet, Doeuillet, Paquin, Beer, Chéruit und Ramillon bedienen eine weltweite Klientel. Damen des Adels und gefeierte Schauspielerinnen, allen voran Madam Réjane, posieren in ihren Roben in den nicht minder berühmten Fotoateliers von Henri Manuel, Paul Boyer, Reutlinger, Félix oder Madama d’Ora.

Woher aber kommt der neue Stil? Noch immer bemühen sich Frauenrechtlerinnen, Ärzte und Künstler um eine gesündere, das heißt den natürlichen Formen entsprechende Kleidung. Es sind Kleider und Kostüme von geradem Schnitt, doch nicht mehr so extrem sackartig wie das Reformkleid. Aber sie sind alle knöchellang und verzichten größtenteils auch nicht auf eine Schleppe.

Nur in der Kinderkleidung gehört alles Körperbeengende der Vergangenheit an. Die Kleidchen sind lose und waden- bis kniekurz. Ihre weiße Spitzenpracht aber erscheint wenig zum Spielen geeignet und lässt sich nur unzureichend durch eine Schürze schützen.

Bequemeres bringt die Sportmode, allen voran der die Gemüter bewegende Autosport. Hierfür treten zwei Bekleidungstendenzen, zumindest bei den Damen, hervor: Jene Kleidung der betont mondänen »Vergnügungs-Autlerin« und die der ernstzunehmenden »Auto-Sportlerin«. Erstere schützt ihre elegante Toilette durch einen weiten Auto- oder Staubmantel sowie Gesicht und Hut durch einen beides umhüllenden, wehenden Schleier. Die Rennfahrerinnen dagegen, denen »das Kilometerfieber durch die Adern rast, denken kaum an den bestrickenden Zauber ihrer Persönlichkeit« (»Sport im Bild«, Nr. 26), sondern sind um funktionelle Kleidung bemüht. Sie tragen einen staubgeschwärzten Ledermantel und eine Kapuze, einen Mantel aus Gummistoff und eine Kappe oder einen Fohlenleder-Mantel im Pusztahirtenstil. Derbe Lederhandschuhe und Autobrille ergänzen die Auto-Sportkleidung.

In der Garderobe des Mannes steht weiterhin im Vordergrund, ob der gewählte Anzug dem Anlass angemessen ist, ob die Zusammenstellung aller Kleidungsstücke passt. Jeder Mann muss wissen, wann er Frack – der je nach Anlass auch untertags getragen wird – Gehrock, Cutaway oder Sakkoanzug zu tragen hat und ob dazu ein matter oder glänzender Zylinder, Bowler oder Melone, Plastron, weißer oder schwarzer Querbinder oder farbiger Langbinder getragen werden. Hilfestellung dazu geben von Schneidern herausgegebene Übersichtstabellen.

Chroniknet