»Die Heimat innerlich erobern«

Urlaub und Freizeit 1915:

Die »Vossische Zeitung« preist in ihrer Ausgabe vom 17. 3. den Urlaub im eigenen Land an:

»Deutschland … ist auch viel reicher an Mittelgebirgen, an stillen Wäldern und malerischen Städten, als seine Landeskinder wissen … Manche Herberge wird hier natürlich einfacher sein, als die großen internationalen Hotels. Aber wo Brüder und Väter im Schützengraben hausten oder froh waren, in Bauernhäusern auf Stroh zu schlafen, und ebenso wenig mit der täglichen Kost verwöhnt wurden, wird es für die Daheimgebliebenen doch auch möglich sein, einmal in einfachster Umgebung zu wohnen …

Der Krieg hat die meisten Deutschen erst wieder den Wert der Heimat voll erkennen gelehrt; und ein durchdringendes Gefühl der Zusammengehörigkeit erwuchs uns aus der gemeinsamen Gefahr. Solche Güter dürfen nicht wieder verlorengehen, und eindringliches Kennenlernen kann dazu helfen. Es gilt die schwer verteidigte Heimat auch innerlich zu erobern, indem man ihre Gaue durchwandert und ihre heimlichen Schönheiten entdeckt.«

Der deutsche Fremdenverkehr versucht, aus der Kriegsnot eine Tugend zu machen und preist daher den Urlaub im eigenen Land an. Auch die deutschen Urlaubsorte leiden jedoch unter dem kriegsbedingten Rückgang des Urlaubsreiseverkehrs. Um die leerstehenden Hotels und Pensionen zu füllen, entdecken daher vor allem Kurorte verwundete und genesende Kriegsteilnehmer als potenzielle Kunden. Mit Sonderangeboten und Vergünstigungen (z. B. erlassen zahlreiche Orte die Kurtaxe) wird diese Zielgruppe umworben.

Aufschluss über den Umfang des Rückgangs an Ferienreisen gibt eine in den ersten Ferientagen vorgenommene Zählung auf den Berliner Fernbahnhöfen. Mit 392 120 Fahrkarten wurden hier in der Zeit vom 1. bis 6. Juli 27% weniger Fahrkarten verkauft als im gleichen Vorjahreszeitraum, die Zahl der beförderten Gepäckstücke ging sogar um 43% zurück.

Zu den beliebtesten deutschen Reisezielen gehören die Badeorte an Nord- und Ostsee. Der Badeverkehr an der Nordsee ist wegen des Krieges jedoch in nahezu allen Küstenorten und auf den Inseln verboten, während an der Ostsee mit Ausnahme weniger Orte keine Einschränkungen bestehen.

Auch die neutrale Schweiz leidet unter einem starken Rückgang des Fremdenverkehrs aus dem Ausland. Im Winter blieben viele Hotels in den Skizentren geschlossen. In der Wintersportsaison vom Januar bis April waren in Umkehrung des sonstigen Verhältnisses 61% aller Hotelgäste Schweizer, nur 18% kamen aus dem Deutschen Reich.

Urlaub gibt es auch für die im Feld stehenden Soldaten, die einige Tage zu Hause verbringen dürfen. Dass die Truppen an der Front regulär Urlaub bewilligt bekommen, zählt zu den Besonderheiten des Weltkrieges. Der Krieg, so begründet dies Max Osborn, Kriegsberichterstatter der »Vossischen Zeitung« an der Westfront, sei »eine dauernde Beschäftigung geworden, von der es nun eben auch einen Urlaub gibt«. Die mit zahlreichen Sonderzügen in die Heimat fahrenden Soldaten sollen jedoch auch in den Ferien ihre patriotische Pflicht erfüllen und für Nachwuchs sorgen, wie es Osborn deutlich formuliert: »Fast jeder hatte sich auf ein in seiner Abwesenheit Neugeborenes zu freuen. Und viele werden sich wohl, wenn das Kriegsglück ihnen hold bleibt, übers Jahr aus ähnlichem Anlaß freuen dürfen. Denn – wozu das prüde verschweigen – hierauf rechnet ja auch das Vaterland, das ihnen so bereitwillig Urlaub gewährt.«

Chroniknet