Werbung 1915:
Die Wirtschaft im Deutschen Reich stellt sich mit ihrer Werbung zunehmend auf die vom Krieg geprägte Zeit ein. Deutsche Soldaten tauchen als positive Identifikationsfiguren in zahlreichen Zeitungsanzeigen für die unterschiedlichsten Produkte auf. Heeresangehörige werden zugleich selbst zur umworbenen Zielgruppe. Immer häufiger wird in der Reklame mit dem Hinweis auf die Eignung bestimmter Waren und Produkte für die im Kriegsdienst stehenden Soldaten geworben.
Vor allem Tabak, alkoholische Getränke und Stärkungsmittel, aber auch Ausrüstungsgegenstände (u. a. Taschenlampen, Messer), Kleidungsstücke, Bücher u. a. werden in der Reklame als ideale Liebesgaben für den Versand ins Feld angepriesen. Zusätze wie »Unentbehrlich im Felde« (Underberg-Werbung), »Viele Anerkennungen aus dem Felde« (Stiefel-Reklame), »Versende ins Feld« (Werbung für Feldstecher) oder »die große Freude unserer Feldgrauen« (Anzeige für Milchkakao) sind im Krieg auf den Anzeigenseiten der Zeitungen alltäglich. Häufig werden die Produkte auch gleich in feldpostgerechter Verpackung angeboten; so wirbt z. B. Odol mit einer »Feldpostverpackung ohne Mehrpreis« für die Verschickung des Mundwassers.
Die Werbung für den Versand von alkoholischen Getränken als »Liebesgaben« für die Front ist allerdings anscheinend zu erfolgreich: Im Dezember wird es im Deutschen Reich nämlich verboten, Anzeigen für Alkoholika mit Hinweisen wie »Fürs Feld« zu versehen.
In Berlin kommt es im Herbst zu einer Diskussion über die Auswirkungen der Straßenreklame auf das Erscheinungsbild der Stadt. Die bunten Plakate und Schriftzüge in den Städten erscheinen vielen gerade während des Krieges als unangemessen. Vertreter des Vereins Heimatschutz kritisieren z. B., dass die Reklame überhandnehme und das Stadtbild entstelle. Demgegenüber verweist der Handel darauf, dass, von Auswüchsen abgesehen, die »Reklame als berechtigte Kraftäußerung des modernen geschäftlichen Lebens« anzusehen sei.
Die zunehmende Bedeutung einer systematischen Werbung für Handel und Industrie wird auch an der einsetzenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Reklame deutlich. In den USA erscheint mit der Studie von Harry Tipper, Harry L. Hollingworth u. a. »Reklame, ihre Prinzipien und ihre Anwendung« eine der ersten sozialwissenschaftlich orientierten Analysen über die Methoden und Wirkungsweisen der Werbung.
Im Deutschen Reich hat sich eine 1914 gegründete »Freie Vereinigung für Reklame-Kunst und -Wissenschaft« zum Ziel gesetzt, »die Reklame in ihren Grundzügen zu erforschen [und] die Ergebnisse der Allgemeinheit zuzuführen«. Weniger ein sozialwissenschaftliches als ein ethisches Selbstverständnis prägt diese Organisation, die das Idealbild von der Werbung als gleichberechtigter Kommunikation zwischen Produzent und Händler auf der einen und dem Kunden auf der anderen Seite aufrechterhalten will. In einer Selbstdarstellung der Vereinigung, der vor allem Volkswirte, Industrielle, Kaufleute, Juristen und Künstler angehören, wird dieses idealisierte Bild von der Reklame deutlich:
»Der Mann des Verkehrs soll dem Käufer nicht als einem Fremden gegenübertreten und durch eine Scheidewand von ihm getrennt sein, sondern er soll gleichsam zu ihm herübersprechen und ihm die Hand reichen. Unser Leben gestattet es nicht, daß hier eine unüberbrückbare Kluft gähnt, sondern auf unzähligen Wegen soll die Stimme des Industriellen und des Kaufmanns unter das Publikum dringen und ihm die Bedeutung der Produkte darlegen … Die erste Regel der heutigen Reklame ist einmal unbedingte Wahrhaftigkeit und sodann Geschmack und Schönheit. Sie soll dazu beitragen, zunächst die richtige Erkenntnis zu verbreiten, sie soll aber auch durch künstlerische Gestaltung unser Leben verklären. Auch in der Reklame soll das starke ästhetische Bedürfnis unserer Zeit Anregung erfahren.«
Bei einem Preisausschreiben, das von der Freien Reklame-Vereinigung Anfang des Jahres für Schüler der Berliner Kunstgewerbeschule veranstaltet wird, soll ein Werbeplakat zu einem Zitat gestaltet werden, in dem das zitierte idealistische Verständnis von der Werbung auf den Punkt gebracht wird: »Die Reklame wird zur Kunst und Wissenschaft, wenn sie mit ethischen Mitteln die Wahrheit verkündet.«