Ferienspiele und Vergnügungsparks bieten Urlaubsersatz

Urlaub und Freizeit 1920:

Angesichts der verbreiteten wirtschaftlichen Not spielen Urlaub und Freizeit nur eine untergeordnete Rolle im Leben der Deutschen. Öffentlich kritisiert werden die drastischen Preissteigerungen an Touristenorten. Daher rücken leicht zu erreichende Freizeit- und Naherholungsstätten in den Mittelpunkt des Interesses.

Auch der Urlaub bleibt von der Inflation nicht verschont. Die Unterbringungskosten in einem der deutschen Badeorte steigen 1920 für mittlere Hotels auf 40 bis 70 Mark (1919: 25 bis 30 Mark). Rechnet man Anreise und Verpflegung und die ebenfalls drastisch angestiegenen Kurtaxen hinzu, so ergeben sich für einen dreiwöchigen Aufenthalt geschätzte durchschnittliche Kosten von 2100 Mark. Georg Goldstein, Direktor einer mittelständischen Erholungsheim-Gesellschaft, greift diese Tendenzen in einem kritischen Feature in der »Frankfurter Zeitung« vom 9. Juli auf und schreibt weiter: »Es bedeutet die Plutokratisierung der deutschen Badeorte, d. h. ihre Auslieferung an eine verhältnismäßig dünne Schicht von sehr reichen Leuten … Es bedeutet, daß der Mittelstand, der früher die größte Besucherzahl unserer Badeorte und Sommerfrischen stellte, in Zukunft von ihnen praktisch ausgeschlossen sein wird.« Zugleich beklagt Goldstein die zunehmenden, für normale Urlauber unerschwinglichen Luxuseinrichtungen wie Cabarets und Bars in den Badeorten ebenso wie die wachsende Anzahl sog. Spielhöllen. Gegen diese privaten Luxusetablissements setzt er sich für eine staatliche Bezuschussung des Badebetriebs ein: »Auf diesem Wege könnte man vielleicht endlich dazu kommen, daß unsere Bäder und Sommerfrischen mehr und mehr Gemeingut des ganzen Volks werden. Nicht Plutokratisierung, sondern Popularisierung muß die Losung sein.«

Die breite Masse der Arbeiter und Arbeitslosen muss sich ohnehin mit den Freizeitmöglichkeiten der Großstädte begnügen. Eine der bekanntesten Berliner Vergnügungsstätten, der Luna-Park, sorgt mit seiner neuen, expressionistisch orientierten Gestaltung für Aufsehen und Verwirrung. Künstlich angelegte wilde Landschaften präsentieren sich dabei in grellen Farben, eine Berg- und Talbahn jagt an gelben Schluchten, roten Höhen und violetten Tälern vorbei. Allerdings weisen Kritiker auf das Missverhältnis zwischen der Geldverschwendung für die Bauten des Luna-Parks und der allgegenwärtigen Existenznot in der deutschen Bevölkerung hin.

Letztere bekommen besonders Großstadtkinder zu spüren, denen reizvolle Ferienvergnügen in der Regel versagt bleiben. In Berlin etwa ist ein eklatanter Mangel an Spiel- und Sportplätzen zu verzeichnen, wobei erst ab 1922 konkrete Lösungen des Problems ins Auge gefasst werden. Kommunen wie Frankfurt am Main versuchen, mit Hilfe von Ferienspielen und Ferienspeisungen die größte Not zu lindern. Auf dem Programm stehen Freiluftveranstaltungen im Stadt- und Niederwald sowie im Ostpark; die Kinder erhalten dabei jeweils ein Mittagessen zu stark ermäßigten Preisen. Das gesamte Ferienspiel- und -Speisungsprogramm erfordert finanzielle Zuschüsse in Höhe von insgesamt rund 180 000 Mark. Von diesem Angebot profitieren im Sommer 1920 rund 5200 Frankfurter Kinder; daneben erhalten weitere 1560 Kinder die Möglichkeit zu Ferien in Erholungsheimen und auf dem Land.

Im Übrigen bleiben die Naherholungsgebiete ein attraktives Ziel für Menschen, die es sich leisten können, die Städte vorübergehend zu verlassen. So wird in einem Reisefeuilleton etwa der Taunus als reizvolles Freizeitziel in Hessen angepriesen. Für den Aufenthalt in dem über Bahnlinien leicht erreichbaren Waldgebiet werden Spaziergänge und Wanderungen mit Rucksack und Picknickkorb vorgeschlagen.

Chroniknet