Auto und Verkehr 1920:
Der deutsche Automobilbau konzentriert sich im Wesentlichen auf die Wiederaufnahme von Vorkriegsmodellen. Die Spezialisierung auf wenige Standardtypen und ein anhaltender Fusionierungsprozess zielen dabei auf eine rationellere Produktion.
Bei fast allen deutschen Unternehmen verläuft die Nachkriegsentwicklung ähnlich: Erfolgreiche Typen aus der Zeit vor 1914 werden neu aufgelegt und mit wenigen Veränderungen weiter produziert. Allerdings verwerten viele Firmen die Erfahrungen US-amerikanischer Unternehmen wie Ford und General Motors, die bereits vor dem Weltkrieg mit Typenstandardisierung und Fließbandproduktion experimentierten.
In besonderem Maß orientieren sich die Brandenburger Brennabor-Werke in ihrer Typenpolitik an der rationellen Produktionsweise US-amerikanischer Unternehmen. Sie konzentrieren ihre Planungen auf die Fertigung zweier standardisierter Grundtypen (Baubeginn: 1922), die entsprechend den Käuferwünschen variiert werden können. Mit dieser Typenpolitik wird Brennabor im Deutschen Reich zu einem der großen modernen Automobilunternehmen der 20er Jahre. Die Berliner NAG-Werke – im Volksmund lange Zeit als [N]ie [A]utomobil [g]ewesen verspottet – geben die Typenvielfalt der Vorkriegszeit ebenfalls auf und beschränken sich mit dem vierzylindrigen 10/30-PS Typ C 4 auf ein Mittelklassemodell. Das zwischen 1920 und 1924 hergestellte Auto hat einen seitengesteuerten Motor und ein getrenntes Getriebe.
Auch die zahlreichen Firmenzusammenschlüsse belegen die immer stärkere Tendenz hin zu rationellen Produktionsformen. Im Deutschen Reich entstanden bereits 1919 mit der Gemeinschaft Deutscher Automobilfabriken (bestehend aus den Firmen NAG, Hansa-Lloyd und Brennabor) sowie dem Deutschen Automobilkonzern (Kooperation von Dux, Magirus, Presto und Vomag) Zusammenschlüsse, die durch arbeitsteilige Spezialisierung eine Senkung der Herstellungskosten anstreben.
1920 neu gegründete Firmen beschränken sich angesichts allgemeiner Rohstoffknappheit und begrenztem Kaufkraftvolumen im Deutschen Reich auf die Produktion von Kleinwagen. So fertigt die Ipe-Auto GmbH kurzzeitig einen konventionellen 12-PS-Wagen mit seitengesteuertem 1020-cm3-Motor. Im thüringischen Erfurt werden die Kleinauto- und Motorenwerke Koch & Co. gegründet. Ihr Kleinwagen verfügt über einen in Längsrichtung liegenden, 12 PS starken Boxermotor, der wahlweise luft- oder wassergekühlt wird.
Auch im Ausland sind spektakuläre Neuentwicklungen rar. In Italien stellt Isotta-Fraschini mit dem Tipo 8 das erste Auto der Welt mit einem Achtzylinder-Reihenmotor vor. Bemerkenswert sind Experimente mit neuen Werkstoffen, wie sie z. B. in den USA stattfinden – einem Land, dessen Autoproduktion nicht, wie in vielen europäischen Staaten, direkt unter den Auswirkungen des Weltkriegs zu leiden hat. Der US-Amerikaner C. Harold Wills – bis 1919 Konstrukteur bei Ford – erprobt das verformbare Metall Molybdän, das in einer Legierung mit Stahl und Gusseisen deren Härte, Stabilität und Stärke mit einschließt. Wills verwertet seine Ergebnisse in dem 1921 produzierten, 60 PS starken Wills Sainte Ciaire A-68, der über eine Kurbelwelle aus Molybdän verfügt.
Auf dem Sportwagensektor beginnt in Frankreich mit der Zusammenarbeit der Konstrukteure Edmond Mayet und André Morel der Aufstieg der sog. Amilcar-Autos (die Bezeichnung beruht auf einem Anagramm aus dem Namen ihrer Kapitalgeber). Der Amilcar – ursprünglich als kleines, billiges Nutzfahrzeug konstruiert – wird 1921 zu einer Sportversion umgebaut. Mit seinen nur 450 kg Gewicht verzeichnet er sofort einen enormen Erfolg bei Autorennen. Dabei ist Edmond Mayet als Chefingenieur und sein Kompagnon André Morel als Chefrennfahrer tätig. Nach Firmenangaben gewinnen Amilcar-Rennwagen allein im Jahr 1924 über 100 Rennen. Erst nach 1929 läuft die Produktion der Amilcar-Wagen dann endgültig aus.