Immer noch wirkt der Krieg nach

Politik und Gesellschaft 1922:

Vier Jahre sind seit dem Ende des Weltkriegs vergangen, doch Europa ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Das Reparationsproblem belastet das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten; Spannungen bestehen in der Orientfrage, und die durch Friedensverträge festgelegten Grenzen der jungen Nationalstaaten in Ost- und Südosteuropa sind vielfach noch umstritten. In Irland tobt der Bürgerkrieg, und in den an Sowjetrussland angrenzenden Gebieten flackern zwei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs noch immer Kämpfe gegen die Bolschewisten auf. Erst mit der Gründung der UdSSR im Dezember werden hier klare Verhältnisse geschaffen.

Im Deutschen Reich hoffen die bürgerlichen und sozialdemokratischen Politiker der Weimarer Regierungskoalition trotz allem zu Beginn des Jahres noch auf eine allmähliche Stabilisierung der Wirtschaft und Festigung der Demokratie. In Deutschland gibt es kaum Arbeitslose, denn einheimische Produkte sind auf dem internationalen Markt gefragt, weil sie infolge des gesunkenen Wertes der Mark billig angeboten werden können. Zwar muss der größte Teil der Einnahmen für die Zahlung von Reparationen und Kriegsschulden verwendet werden, doch versucht die Regierung in Berlin, die aufgrund des Versailler Vertrages festgelegten Zahlungsbedingungen in Verhandlungen mit den Alliierten auf ein erträgliches Maß zu vermindern.

Chroniknet