Veränderte Strukturen verstärken die Widersprüche

Arbeit und Soziales 1925:

Der Charakter der Arbeitswelt sowie damit verbundene soziale Entwicklungen und Strukturen sind Mitte der 20er Jahre im Deutschen Reich von einer fortschreitenden Industrialisierung geprägt. Industrie und Handwerk beschäftigen 1925 41,4% aller Erwerbstätigen, der Handel 16,5% und die Landwirtschaft 30,5%. Damit verbunden ist ein Wachstum der Städte in den industriellen Ballungsgebieten. Berlin hat z. B. über vier Millionen Einwohner (1923 noch 3,8 Mio). Etwa eine Million davon sind Arbeiter und rund 660 000 Angestellte. Von letzteren ist der überwiegende Teil ebenfalls der untersten Einkommensklasse zuzurechnen. Dazu kommen 130 000 Hausangestellte und 280 000 Erwerbstätige ohne Berufsangabe, man kann also davon ausgehen, dass etwa 70% der Bevölkerung zur Unterschicht gehören. Dieser hohe Prozentsatz verweist auf ein für die weitere Entwicklung der Weimarer Republik entscheidendes Problem: Die Deklassierung des bürgerlichen Mittelstandes. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Wirtschaftskrise 1923 führten zu dessen Proletarisierung. Eine verhältnismäßig kleine finanzkräftige Oberschicht steht einer großen Masse Besitzloser gegenüber. Diese Sozialstruktur wird sich mit dem Ende der relativen Wohlstandsphase am Ausgang des Jahrzehnts als verhängnisvoll für die junge Demokratie erweisen. Die ökonomische und soziale Entwurzelung des Kleinbürgertums macht es in Krisenzeiten anfällig für die hemmungslose Propaganda vor allem der rechtsradikalen Parteien. Die durch die Währungsreform (1924) sowie den Dawesplan vom August 1924 eingeleitete Stabilisierungsphase der deutschen Wirtschaft führt zu Veränderungen in den Produktionsstrukturen: Konzentration der Produktion in Konzernen, Großunternehmen, Kartellen und Rationalisierung zum Zweck der Produktivitätssteigerung. Ein einfaches Mittel, sie zu erreichen, ist für die Unternehmer die Verlängerung der Arbeitszeit. Der Achtstundentag, eine Errungenschaft der Revolution von 1918, war während der Krise 1923 faktisch wieder abgeschafft worden. Die mit der damaligen schlechten wirtschaftlichen Situation begründete Maßnahme soll nach Vorstellungen der Gewerkschaften nun wieder rückgängig gemacht werden – gegen den Willen der Arbeitgeber. Streiks der Beschäftigten (in der Weimarer Verfassung als verfassungsgemäß eingeführt) sind die Folge. In den 1766 durchgeführten Arbeitskämpfen des Jahres 1925 ist neben Lohnerhöhungen die Einführung des Achtstundentages eine Hauptforderung, denn die lange Arbeitszeit (z. B. die Zwölfstundenschicht) ist gerade bei Schwerstarbeitern häufig die Ursache für Arbeitsunfälle. Allerdings haben die Streikenden in diesem Punkt selten Erfolg. Lediglich in der Eisen- und Stahlindustrie müssen die Unternehmer nachgeben. Sie werden durch einen Regierungsbeschluss zur partiellen Wiedereinführung des von den Arbeitern geforderten Dreischichtsystems gezwungen.

Eine weitere Möglichkeit der Effektivitätssteigerung sehen die Industriellen in der Rationalisierung, wobei die breite Einführung des Fließbandsystems wohl die einschneidendste Maßnahme dieser Zeit ist. Die Zergliederung des Produktionsprozesses gestattet es den Arbeitgebern, immer mehr ungelernte und schlecht bezahlte Arbeitskräfte einzustellen. Weiterhin können Beschäftigte eingespart werden, so dass auch 1925, dem Jahr des stärker einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwungs, die Arbeitslosenquote immerhin 6,7% beträgt.

Veränderungen in der sozialen Wirklichkeit machen sich besonders im Leben der Frauen bemerkbar. Gerade der große Bedarf an Ungelernten ermöglicht vielen von ihnen, selbst erwerbstätig zu sein. 1925 gibt es in Deutschland insgesamt 11 478 000 vollbeschäftigte Frauen. Das sind 1,7 Millionen mehr als 1907 und bedeutet eine Erwerbsquote von 35,6%. Davon sind 18,4% Industriearbeiterinnen, die ungelernte oder angelernte Tätigkeiten ausüben. Lediglich in Branchen ohne männliche Konkurrenz werden Frauen zuweilen ausgebildet (z. B. in der Textilindustrie).

Da sie für die gleiche Arbeit grundsätzlich weniger Lohn bekommen (etwa 20 – 40%) als ihre männlichen Kollegen, haben sie teilweise mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Männer. Das führt dazu, dass immer häufiger verheiratete Frauen in die Fabriken gehen, was eine Umorientierung innerhalb der Familie nach sich zieht. Häufig genug muss dann eine vielköpfige Familie von dem Verdienst der Frau leben.

Die Masse der berufstätigen Frauen bilden jedoch die jungen Angestellten. In den Sekretärinnen, Stenotypistinnen und den Verkäuferinnen sieht man die Prototypen weiblicher Emanzipation. Ihr Anteil an allen erwerbstätigen Frauen stieg von 5% im Jahr 1907 auf 12,6% im Jahr 1925. Erblicken später z. B. Gewerkschafter auch die »Feminisierung des Angestelltenberufs als größte Revolution in der sozialen Stellung der Frau«, so ist doch nicht zu übersehen, dass der Ausbruch aus der Familie vielfach nur einen Wechsel innerhalb einer Unterdrückimgsmaschinerie bedeutet. Für die einfachsten schematischen Arbeiten, vor allem für die Bedienung der neuen Büromaschinen, werden Frauen eingestellt, wohingegen in qualifizierten Positionen (Buchhalter, Sachbearbeiter, Abteilungsleiter) zumeist Männer beschäftigt sind. Es bleibt also festzuhalten, dass trotz einer relativen Stabilisierung der Wirtschaft das Problem der Dauerarbeitslosigkeit nicht gelöst wird. Denn die wirtschaftliche Gesundung greift trotz eines Exportüberschusses nicht auf den Arbeitsmarkt über, da sie durch Rationalisierung und immer größere Konzentration der Unternehmen geprägt ist.

So bleibt ein Heer von unzufriedenen Arbeitslosen ohne Zukunftsperspektiven bestehen: Ausgemusterte Soldaten, oft genug aber auch jüngere Menschen, die eher durch die Nachkriegswirren geprägt wurden, als durch den Krieg selbst, werden zu einer schweren Hypothek für die Weimarer Republik. Die vielen hoffnungslos erscheinende wirtschaftliche Lage gibt den links- und rechtsradikalen Parteien im Deutschen Reich neuen Auftrieb.

Chroniknet