Architektur 1930:
»Das Neue Bauen ist eine Tatsache geworden«, so fasst der Architekt Ludwig Mies van der Rohe 1930 die Entwicklung der Architektur des vergangenen Jahrzehnts zusammen. Tatsächlich erfährt das sog. Neue Bauen, die wesentlich von deutschen Architekten mitgestaltete avantgardistische Architektur, besonders in diesem Jahr internationale Anerkennung, z. B. auf den großen Ausstellungen des Deutschen Werkbundes in Paris und Stockholm.
Die Ziele des Neuen Bauens sind bereits vor dem Weltkrieg, bei der Gründung des Deutschen Werkbundes, einer Vereinigung von Künstlern, Fabrikanten, Handwerkern und Pädagogen, 1907 in München formuliert worden: Die Werkbündler wollen »der guten Form wieder auf allen Gebieten ihr Recht verschaffen« und »eine echte Zusammenarbeit der besten Künstler und Handwerker mit Industrie und Handel herbeiführen«.
Im Mittelpunkt des Neuen Bauens steht 1930 die Schaffung von Wohnbauten, die den individuellen Bedürfnissen der Bewohner optimal entsprechen. Durch die Verwendung serienmäßig hergestellter Bauteile sollen die neugebauten Mietwohnungen so kostengünstig sein, dass sie für weite Bevölkerungsgruppen erschwinglich sind. Dieses Verständnis von Architektur als sozialer Aufgabe wird im Deutschen Reich insbesondere im Umkreis des Bauhauses vertreten, der 1919 in Weimar gegründeten und 1925 nach Dessau übergesiedelten Hochschule für Gestaltung. Führende Vertreter des Bauhauses meinen zudem, durch funktionalistische Bauweise, die auf überflüssigen Zierart verzichtet und die Gestaltung der Gebäude an ihrem Zweck ausrichtet, die Lebensgestaltung des Menschen im Sinne einer größeren Klarheit, Transparenz und Vernünftigkeit positiv beeinflussen zu können.
Obwohl sich in Frankreich und in den USA mit dem Art Déco parallel zum Neuen Bauen ein neuer ornamentaler Stil etabliert hat, erfährt besonders die Bauhaus-Architektur 1930 höchste internationale Anerkennung. Bei der Werkbund-Ausstellung im Grand Palais in Paris erregt Bauhausgründer Walter Gropius mit dem Entwurf eines zehnstöckigen Apartmenthauses großes Aufsehen. Die gelungene Werkbund-Ausstellung in Stockholm, die sich vor allem der gewerblichen Produktion von Möbeln widmet, trägt – nicht zuletzt dank der farbenfrohen, lustigen Gestaltung des Ausstellungsgeländes durch Erik Gunnar Asplund – entscheidend dazu bei, das Neue Bauen auch in den skandinavischen Ländern zu verbreiten.