Psychologische Kriegsführung um den Markt

Werbung 1930:

Die Krise der Weltwirtschaft wirkt sich 1930 auch auf die werblichen Aktivitäten von Industrie und Handel in der ganzen Welt aus. Während manche Unternehmen durch Kürzungen bei den Werbeetats versuchen, Gelder einzusparen, starten andere großangelegte Werbekampagnen, um ihre Umsätze zu steigern. Gleichzeitig werden im Deutschen Reich nach US-amerikanischem Vorbild erste Versuche gemacht, Erkenntnisse der psychologischen Forschung für die Werbung zu nutzen.

Die meisten deutschen Unternehmen setzen nach wie vor auf Anzeigenwerbung, die den Verbraucher über den Text ansprechen soll; Fotografien und Zeichnungen sind nicht mehr als eine optische Auflockerung. Lediglich Produzenten von Luxusgütern, die ihre Exklusivität auch in der optischen Aufmachung ihrer Anzeigen zum Ausdruck bringen wollen, setzen auf künstlerisch gestaltete Werbemittel.

Einen großen Teil der Anzeigenflächen in Zeitschriften und Zeitungen nehmen Verlage in Anspruch, die Lexika und Lehrbücher anbieten. Unter Hinweis auf die Arbeitsmarktsituation wollen sie die Leser glauben machen, sie könnten ihre Aussichten auf einen Arbeitsplatz durch größeres Wissen verbessern; der Verlag Ullstein wirbt z. B. für das Buch »1000 Worte Deutsch«: »Sie können am 1. antreten! 5 Worte nur, aber wie viele warten vergeblich darauf sie zu hören und müssen täglich die Hoffnung auf eine Stellung begraben … Wie viele Bewerbungsschreiben wandern in den Papierkorb, nur weil sie in schlechtem Deutsch abgefaßt sind … Wer seine Muttersprache beherrscht, ist um eine Waffe im Kampf ums Dasein reicher!«

Die deutschen Tuchhersteller bedienen sich auf andere Weise der Hoffnungen bzw. Ängste vieler Bürger: Sie werben z. B. für ihre Produkte und drohen gleichzeitig mit weiteren Entlassungen, falls die Verbraucher weiterhin ausländische Produkte kaufen.

Solche vor allem auf Ergebnissen der US-amerikanischen psychologischen Forschung basierenden Werbemethoden werden von Kritikern teilweise heftig angegriffen. Zu den US-Werbemethoden und ihrer allmählichen Ausbreitung im Deutschen Reich schreibt z. B. der Journalist Rolf Jungeblut in der »Vossischen Zeitung« im März: »Aber gerade diese auf Verängstigung und Schrecken abgestellte Reklame-Psychologie … hat sich heute bereits in Amerika in weitem Umfang durchgesetzt. Sehen Sie sich einmal eine amerikanische Zeitung an, und Sie finden das ganze Elend der Welt über den Anzeigenteil gestreut.«

Chroniknet