Mangel diktiert Speisezettel

Ernährung, Essen und Trinken 1942:

Da zu Beginn des dritten Kriegsjahres aufgrund der allgemeinen Lebensmittelknappheit fast alle Nahrungs- und Genussmittel im Deutschen Reich einem umfassenden Rationierungssystem unterworfen sind, diktiert die Notwendigkeit, mit wenigen verfügbaren Grundstoffen in der Ernährung äußerst sparsam zu wirtschaften, den täglichen Speisezettel.

Seit April erhält der deutsche »Normalverbraucher«, immerhin 40% der Bevölkerung, wöchentlich 2000 g Brot, 206 g Fett und 300 g Fleisch. Bohnenkaffee kommt so gut wie gar nicht mehr auf den Tisch, stattdessen wird Ersatzkaffee aus Zichorien und Malz, der sog. Muckefuck, getrunken. Hinter vorgehaltener Hand macht im Frühjahr der folgende Witz über die mangelhafte Versorgungslage in der Bevölkerung die Runde: »Ein Lebensmüder versucht, sich an einem Strick aufzuhängen, vergeblich, der Strick, aus schlechtem Ersatzmaterial hergestellt, reißt. Dann versucht er, ins Wasser zu gehen, vergeblich, da in seinem Anzugstoff zu viel Holz enthalten ist. Schließlich stirbt er doch – nachdem er zwei Monate lang nur die offiziellen Lebensmittelrationen gegessen hat.«

Ein besonderes Problem ist die Beschaffung ausreichender Mengen an Frischgemüse und Obst. So findet sich in der Presse eine Vielzahl von Aufrufen zum Anbau von Gemüse, Salat und Obst in öffentlichen Grünanlagen, in privaten Ziergärten, auf Balkonen und in Blumenkästen. Immer wieder wird auf die Möglichkeit hingewiesen, Speisen statt, wie früher üblich mit teuren Gewürz-Ersatzstoffen wie Brühwürfeln und synthetischen Extrakten, mit wildwachsenden oder leicht zu züchtenden Kräutern zu verfeinern.

Um Krankheiten aufgrund von Vitamin-C-Mangel vorzubeugen, raten Ärzte und Ernährungswissenschaftler zur Umstellung eingefahrener Kochgewohnheiten. So soll Gemüse, um wertvolle Nährstoffe zu erhalten, nur noch gedünstet und nicht mehr gekocht werden. Dabei soll stets ein Drittel der vorgesehenen Menge erst dem fertig gedünsteten Gemüse roh zugegeben werden, zumal dadurch auch der Sättigungswert gesteigert werde. Außerdem sei es wichtig, die Mahlzeiten so oft wie möglich frisch zuzubereiten: »Wichtige Faktoren sind dabei heute unbedingt das Vollkornbrot, die im Drucktopf gekochten Pellkartoffeln, rohes Sauerkraut, aber auch rohe Salate.« Zur Bereicherung des Speisezettels wird auf den Nährwert wildwachsender Kräuter- und Gemüsearten wie Brennnesseln, Brunnenkresse, Kohldisteln, Löwenzahn, Scharbockskraut u. ä. verwiesen, die jedermann insbesondere im Frühjahr ohne Schwierigkeiten sammeln könne. Der Hinweis, dass die Deutschen damit »gesünder und nahrhafter essen als je zuvor«, macht schließlich aus der Not eine ideologische Tugend.

Abseits dieser offiziell zugelassenen Möglichkeiten, den kargen Speiseplan zu bereichern, versuchen viele Menschen, sich auf andere Weise zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. So häufen sich 1942 Fälle von Schwarzschlachtungen sowie Fälschungen und Diebstähle von Lebensmittelkarten. Ebenso zahlreich sind die Versuche insbesondere der städtischen Bevölkerung, auf ausgedehnten Hamsterfahrten bei Bauern Fleisch, Eier, Speck, Kartoffeln und Gemüse gegen Wertgegenstände oder Geld einzutauschen. Vor deutschen Sondergerichten gelten Versuche, sich auf anderen als den offiziellen Wegen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, als Verbrechen gegen die Kriegswirtschaft und werden mit empfindlichen Geldbußen und Haftstrafen bis hin zur Einweisung in Konzentrationslager geahndet. Vereinzelt werden Lebensmitteldiebstähle auch mit dem Tode bestraft.

Chroniknet