Mobilisierung aller Arbeitskraftreserven

Arbeit und Soziales 1944:

Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Deutschen Reich untersteht 1944 fast ausschließlich einer einzigen Maxime: Mobilisierung aller noch vorhandenen Arbeitskraftreserven zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft. Mit jedem erdenklichen Mittel versucht das nationalsozialistische Regime, dem Arbeitskräftemangel entgegenzutreten, der dadurch entstanden ist, dass einerseits immer mehr Männer zum Kriegsdienst eingezogen werden, andererseits aber die Rüstungsproduktion stetig weiter gesteigert werden soll.

Der deutsche Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, versucht auf zwei Wegen, den Arbeitskräftemangel zu beheben. Zum einen will er bisher noch nicht Berufstätige in den Arbeitsprozess einbeziehen; zum anderen soll aus den bereits Erwerbstätigen ein Höchstmaß an Leistung herausgeholt werden.

In diesem Sinne wird am 31. August 1944 eine Verordnung erlassen, mit der die wöchentliche Arbeitszeit von 48 auf 60 Stunden heraufgesetzt wird. Eine verlängerte Arbeitszeit ist letztlich auch der Grund dafür, dass viele Arbeiter 1944 mehr Lohn nach Hause tragen als zu Kriegsbeginn. Das Einkommen an sich steigt dagegen nur unerheblich von 68,1 Reichspfennig (RPf) pro Stunde im Jahr 1939 auf 69,6 RPf 1944.

Einer höchstmöglichen Ausnutzung der Arbeitszeit dient auch der Kampf gegen das »Bummelantentum«. Eine Anordnung vom 23. September 1944 droht allen Arbeitnehmern, die sich der »Bummelei« schuldig machen, eine empfindliche Bestrafung durch finanzielle Einbußen, zwangsweise verordneter Nacharbeit und Entzug von Lebensmittelkarten an.

Da die Intensivierung der Arbeitsleistung ihre Grenzen hat, ist Sauckel gezwungen, auf neue, bislang nicht erwerbstätige Kräfte zurückzugreifen. Bereits seit 1943 unterstehen im Deutschen Reich alle Männer vom 16. bis zum 65. Lebensjahr und alle Frauen vom 17. bis zum 45. Lebensjahr einer Meldepflicht bei den Arbeitsämtern und können bei Bedarf vermittelt werden. Im Juli 1944 wird die Altersgrenze für Frauen auf 50 Jahre erhöht. Gerade für sie gelten jedoch zahlreiche Ausnahmeregelungen, so dass die allgemeine Arbeitspflichtbestimmung für Frauen stark aufgeweicht ist.

Generell bleibt der Versuch des NS-Regimes, Frauen in die Arbeitswelt zu integrieren, wenig erfolgreich. Die Anzahl der weiblichen Erwerbstätigen nimmt von Kriegsbeginn an kaum zu; sie steigt von 14,6 Millionen im Jahre 1939 auf 14,8 Millionen im Jahre 1944. Trotz großangelegter Propagandafeldzüge verspüren viele Frauen wenig Lust, ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die Lösung ihrer Alltagsprobleme steht ihnen näher als die Sorge um die deutsche Kriegswirtschaft. Das NS-Regime zögert bis zuletzt, die Frauen mit Gewalt zur Arbeit zu zwingen, da man einerseits eine Verschlechterung der »Massenstimmung« befürchtet und sich andererseits das Bild von der Industriearbeiterin nicht mit der nationalsozialistischen Vorstellung von der deutschen Frau als treusorgende Hausfrau und liebende Mutter deckt.

Da diese Maßnahmen alle nicht ausreichen, um den Arbeitskräftebedarf zu decken – 1944 beträgt die Anzahl der männlichen deutschen Arbeitskräfte nur noch 55% des Vorkriegsstandes -, werden im Deutschen Reich zunehmend Ausländer zur Arbeit zwangsverpflichtet. Im Herbst 1944 sind 7,5 Millionen ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft beschäftigt und stellen damit ein Fünftel aller zivilen Arbeitskräfte. Mit der Rekrutierung von Fremdarbeitern und ihrer Verschleppung ins Deutsche Reich war 1942 in großem Stil begonnen worden. Die Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem der sog. Ostarbeiter sind unbeschreiblich schlecht. Hunderttausende von ihnen sterben innerhalb kurzer Zeit an Hunger, Auszehrung und Krankheiten.

Chroniknet