Die Hungerzeiten sind nun vorbei

Ernährung, Essen und Trinken 1948:

Noch zu Beginn des Jahres 1948 konnte sich in Deutschland kaum jemand vorstellen, dass eines absehbaren Tages die Regale der Lebensmittelgeschäfte wieder gefüllt sein würden.

Der Hunger, seit Kriegsende ständiger Begleiter der Deutschen, bestimmt auch in der ersten Hälfte des Jahres noch den Alltag. Seit August 1939 sind die Lebensmittel rationiert. Das Zuteilungssystem hat das Kriegsende überdauert, funktioniert jedoch nur unzulänglich. Aus Protest gegen die mangelhafte Versorgung kommt es in vielen Orten der Westzonen zu Streiks und Demonstrationen. Doch gibt es inmitten des Mangels auch Inseln des Überflusses. Es sind vor allem Schwarzhändler und Menschen mit entsprechenden »Beziehungen«, die einen relativen Wohlstand genießen können; nicht zu vergessen die Bauern, auf deren Höfen viele Stadtbewohner ein- und ausgehen, um dort zum Beispiel ihren Schmuck gegen Kartoffeln zu tauschen.

Am 20. Juni ist die Zeit des Mangels mit einem Schlag vorbei. Mit der Währungsreform wird das Ende des Rationierungssystems verkündet. Schon am folgenden Tag sind Schaufensterauslagen und Regale in den Lebensmittelgeschäften gefüllt. Viele Händler hatten in Erwartung der Währungsreform ihre Waren zurückgehalten und gehortet. Zwar bleiben einige Grundnahrungsmittel weiterhin bewirtschaftet, aber schon im Oktober wird z. B. die Rationierung von Kartoffeln aufgehoben. Begehrte Waren wie Speck, Wurst, Schokolade und Kaffee sind nun frei erhältlich. Kaum ist das neue Geld in den Händen der Deutschen, kommt es zu einem Sturm auf die Geschäfte. Die Folgen in Form von Preissteigerungen lassen nicht lange auf sich warten. Die Preise klettern so stark, dass der monatliche Lebensmitteletat vieler Menschen übermäßig belastet wird. Vor der Währungsreform war die Beschaffung von Lebensmitteln das Hauptproblem; nach der Ausgabe des neuen Geldes sind es die hohen Preise.

Eine der Ursachen, für die Preisentwicklung liegt unter anderem darin, dass sich nach den langen Jahren der Bewirtschaftung das Verhältnis von Angebot und Nachfrage erst einpendeln muss. Die Reaktionen der Verbraucher auf die steigenden Preise sind heftig: Wo Handeln und Feilschen nichts mehr helfen, äußern die Menschen ihren Unmut in rabiater Form. Marktstände werden gestürmt, Händler verprügelt. Vielerorts werden Käuferstreiks organisiert, deren Wirkung nicht lange auf sich warten lässt. Preisnachlässe von bis zu 60% sind keine Seltenheit. Am Ende des Jahres 1948 ist der Anblick, den die Einkaufsstraßen und Wochenmärkte der westdeutschen Städte bieten, mit dem kärglichen Erscheinungsbild zu Jahresanfang in keiner Weise mehr vergleichbar. Die Deutschen in den drei westlichen Besatzungszonen können sich seit dem 21. Juni wieder satt essen. Die verbesserte Ernährungslage macht sich in nahezu allen Lebensbereichen bemerkbar; vor allem aber bewirkt sie eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität.

Doch nicht allen Deutschen ist es möglich, sich auf freien Märkten mit Nahrungsmitteln zu versorgen. So müssen sich die Berliner in den blockierten Westsektoren der Stadt weiterhin mit kargen Rationen bescheiden. Noch schlimmer sieht es in der Ostzone aus, wo es trotz Währungsreform zu keiner Aufhebung der Bewirtschaftung von Lebensmitteln kommt.

Chroniknet