Von der Hippie-Romantik bis zum Astronauten-Look

Mode 1969:

»Swinging« London ist unbestritten Mode-Metropole und Ideen-Lieferant auch für die Pariser Haute Couture. Man orientiert sich an der romantischen Hippie-Kleidung von Jean Muir und Ossie Clark, an den ausgefallenen Ideen einer Zandra Rhodes und Barbara Hulanikki, an den Strickmoden von Kaffe Fasset und an den strengen Mini-Hängerchen einer Mary Quant. Präraffaelitische Schönheiten mit blassem Gesicht und onduliertem Haar zieren die Titelseiten der Modejournale. Aber prüde ist diese Neo-Romantik keineswegs: Wesentlicher Bestandteil ist der Transparent-Look.

Yves Saint Laurent bringt schwarze, durchsichtige Blusen, deren Brusttaschen gerade das Nötigste verdecken. Zahlreiche Filmsternchen sehen damit ihre Chance gekommen – für die Regenbogenpresse ein gefundenes Fressen.

Mini ist absoluter Favorit. Die Pariser Designer – insbesondere Pierre Cardin und André Courrèges – entwerfen im Jahr der Mondlandung Minikleidchen mit Applikationen in Ecken-, Rauten- und Rhomben-Form aus Vinyl oder Metallplättchen. Dazu passen helmartige Kopfbedeckungen. Courrèges schlägt weiße »Strampelanzüge« in Rippenstrick vor, höchstens mit einem lendenschurzartigen Mini-Röckchen kombiniert. Dazu gehören unbedingt weiße Plastikstiefel, Fäustlinge und Strickkappe.

Die Normalverbraucherin jedoch trägt geradlinige Hänger mit leicht ausgestelltem Minirock, akzentuiert durch geometrische Steppnähte und kontrastierende Applikationen oder Minikleidchen in verspieltem Hemdblusenstil. Hochsommerliche Teenager-Kleider mit tiefem V-Ausschnitt und Trägern bedecken gerade den Po. Wichtigstes Frühjahrsthema sind Kostüme und Hosenanzüge. Die Jackenlänge variiert zwischen superlang und taillenkurz (Hipster-Jacke), der Ausschnitt zwischen kragenlos und überdimensionalen Kragen-Revers-Fassons. Blickfang ist ein breiter Gürtel mit großer Schließe, der auch bei den Mänteln nicht fehlen darf. Hosen sind um die Hüften eng, ohne Bund und zum Saum hin ausgestellt – mit »Schlag«. Sie werden zu taillierten Mänteln oder Kasacks getragen. – Die Schnitte, ob Kleid oder Mantel, sind durchweg sehr körperbetont und kommen nicht ohne tiefe Abnäher aus.

Für den Winter sind Tweed, Jacquard-Strick, Double-Jersey und Trevira 2000 die absoluten Favoriten. Leder, auch Kunstleder, das sog. Skai, in brauner Antik-Optik ist der Modeschlager für jugendliche Herbstkostüme. Man liebt auffallende Muster, große Karos in Pastellfarben, breite Streifen oder Riesen-Hahnentritt. Abendkleider sind im Schnitt denkbar einfach, eine glatte Empire-Linie dominiert, die Schultern bleiben frei. Umso wichtiger jedoch sind Stickereien aus Perlen, Glastropfen und Strasssteinen exotische Ornamente oder Spitzen. Zarteste Romantik im »Sweet-Seventeen-Stil« bieten Kleider aus Glasbatist mit Blütenstickerei aus weißer Spitze auf pastelligem Organza oder Organdy mit Tupfen.

Wer mehr auf Hose eingeschworen ist, kann zwischen einem weiten Palazzo-Pyjama aus fließendem Organdy, einem Torero-Anzug mit enger Hose und besticktem Bolero aus schwarzem Samt oder einem Lurex-Anzug wählen.

Pelz ist sehr gefragt, und zwar querverarbeitete Langhaarpelze wie Waschbär und Chinchilla.

Die neue Romantikwelle verlangt gepflegtes langes Haar, das in großzügigen Locken über die Schultern fließt oder in Schlaufen und Flechten aufgesteckt ist mit seitlich herabhängenden Korkenzieherlocken. Will man Ungezwungenheit signalisieren, so schmückt man sich mit Zigeunerketten, drapiert ein Piratenkopftuch oder setzt eine »Bahnwärtermütze« auf.

Die Herrenmode findet international große Beachtung. Tonangebend sind vor allem die Italiener. Die modische Sakko- und Mantel-Linie ist sehr körpernah, mit hoher Taillenmarkierung und sehr kleinem Ausschnitt, wodurch das Revers stark verkürzt ist. Dennoch kommt beim Sakko die Weste im Ausschnitt zur Geltung. Die Schulterpartie bleibt schmal. Die Hosen sind um die Hüften extrem anliegend mit breitem Bund und ab den Knien – je nach Alter des Trägers – mehr oder weniger stark ausgestellt – man spricht von »Glockenformen«. Hochmodisch sind Anzüge mit hochgeschlossenem Sakko mit Guru- oder Mao-Kragen und einer Röhren-Hose. Das modische Abendhemd hat eine verdeckte Knopfleiste und einen Stehbundkragen.

Chroniknet