Trend gegen Massenkonfektion: Schick ist das Selbstgenähte

Mode 1970:

»Do it yourself« ist zum Statussymbol geworden. Im Zeitalter der Massenkonfektion wird der Wunsch nach Individualität stärker, Kreativität gilt mehr als käuflicher Luxus. Die Bundesrepublik erlebt eine Renaissance des Selbernähens und -strickens; rund 10 Mio. Frauen in der Bundesrepublik schneidern selbst. In den USA werden 600 Mio. Schnittmuster jährlich gekauft. Das überraschendste an dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass mit 80% Teenager den größten Anteil der Hobbyschneiderinnen bilden. »Sie wagen am meisten, schneiden zu und setzen sich an die Nähmaschine ohne besondere Vorkenntnisse … denn bis der große Apparat der Konfektion in Gang kommt, haben sie sich den Nimbus der richtig Orientierten, allem Neuen Aufgeschlossenen schon gesichert« (burda moden, Heft 12).

Die Mode macht es ihnen leicht. Die Schnitte sind denkbar einfach: Schmale Prinzesskleider mit leicht ausgestelltem Rock, Träger- oder Polokleider, Wickelkleider und Pulloverkleider aus fertigem Strickstoff; als Verzierung Passen, aufgesteppte Blumen, Lederapplikationen, selbst gemachte Gürtel mit Lederfransen.

Die schneidernden Teenager bestimmen auch Stoffqualitäten und -novitäten. Stoffe, die Bequemlichkeit und leichte Pflege versprechen: Dralon, Acryl-Jacquard, Orlon, Trevira, Jersey (von Jersey-Plüsch bis Lurexjersey), Frotteestoffe sowie Knautschlack und Knautschsamt sind gefragt.

Was die Länge betrifft, so hat in diesem Jahr Midi absoluten Vorrang. Er wird als kleidsam und tragbar gepriesen. Um die nostalgische Note zu unterstreichen, werden dazu enge Schnürstiefel aus Lackleder getragen.

Im Winter 1969/70 gilt allerdings auch noch Maxi als aktuell. Ein Zeitungskorrespondent berichtet dazu aus London: »Der Rocksaum, der sich in langjährigem Vormarsch in schwindelnde Höhen emporgearbeitet hatte, stürzte nahezu über Nacht auf den Boden der Tatsachen zurück.« Gegen die Mini-Mode dagegen wird mobil gemacht: »Es ist nicht länger zumutbar, dass sich erwachsene Frauen in Kinderkleidern lächerlich machen, nur um zu beweisen, wie jung sie sich fühlen: Es wird Zeit, dass der Saumrutsch nach oben gestoppt wird« (burda moden, Heft 7).

Einen Ausgleich zwischen Midi und Mini bietet die Hose. Favorisiert wird die anliegende, über das Knie reichende Golfhose mit Überfall, neben jenen langen zum Saum hinausgestellten Hosen »mit Schlag«.

Vor allem beim modischen Beiwerk kann sich die Kreativität der Trägerin ausleben; modern sind Miniwestchen im Häkel-Look, Pullunder im Regelstrick, Kurzpullover mit Rhombenmuster, Chasubles aus Ziegenvelour oder Lederpatchwork sowie Umschlagtücher im Muschelmuster nach Großmutterart. Nicht einmal vor der Bademode macht die Strick- und Häkelwut Halt. Der knappe Sonnen-Bikini besteht aus gehäkelten Dreiecken, die mit großen Ringen verbunden sind.

Selbst die Pariser Mode ist ganz auf Strick eingestellt, Dorothee Bis und Sonia Rykiel werden berühmt dafür. Dorothee Bis kombiniert langärmelige, dünne Pullover mit gemusterten Pullundern, zu leicht eingekrausten Midiröcken im Häkel-Look. Darüber werden große Schultertücher mit Fransen und als Kopfbedeckung Patchworkmützchen getragen. Die Modeschöpferin Sonia Rykiel hat sich ganz auf schlauchartige Strickkleider und komplette Strickanzüge, die sehr populär werden, spezialisiert.

Ganz im Sinne des Selbermachens hat auch die Abendmode den Reiz sportlicher Schnitte entdeckt. Zum langen Abendkleid im einfachen Prinzessschnitt gesellt sich ein gemütlicher Kaminrock aus Wollstoff oder ein Hosenanzug aus glitzerndem Lamé.

Entgegen der sportlich nüchternen Kleidung tendieren die Frisuren zu liebevoll romantischer Gestaltung. Das modische Haar ist schulterlang, leicht gelockt und häufig zu Tuffs, Zopfkrönchen oder Chignons kunstvoll zusammengesteckt, was besonders gut zur Midi-Mode passt Seitliche Spirallocken, dünne Zöpfchen sowie Strohblümchen machen die romantische Party-Frisur. Das Mogeln mit falschen Haarteilen oder Korkenzieherlocken ist erlaubt.

Für sportliche Zwecke wird ein Longschal um den Kopf gewunden und seitlich geknotet.

Pelz ist kein Thema zu Zeiten des Understatements. Panchos, Fun-Furs, Plüsch und Capes versprechen Individualismus.

Die Farben sind im Winter durchweg gedämpft: Aubergine mit Rostrot und Seetanggrün mit Pflaumenblau und Schwarz. Strickschals und Miniwestchen bringen farbliche Auflockerungen. Im Sommer dagegen herrschen Pastelltöne vor.

Die Strümpfe passen sich im Winter den verhaltenen Tönen an, während das sommerliche mini-befreite Bein Strümpfe mit pastelligen Blümchen, Spitzeninkrustation, seitlichem Rauten- und Zickzackmuster zeigt.

Chroniknet