Reiseboom zum Billigtarif

Urlaub und Freizeit 1971:

Höhere Einkommen, kürzere Wochenarbeitszeiten – beste Voraussetzungen, die Reiselust zu steigern. In keinem anderen Land wird – pro Kopf – mehr Geld in Urlaubsreisen investiert als in der Bundesrepublik. Von den geschätzten 56 Mrd. DM, die jährlich weltweit für Reisen ausgegeben werden, entfallen allein auf die Bundesbürger 13,7 Mrd. DM.

Das lockersitzende Geld für die »schönsten Tage im Jahr« führt zur heftigen Konkurrenz auf dem deutschen Tourismus-Markt. Den Kuchen teilen sich vor allem zwei große Reiseunternehmen. Die Touristik Union International (TUI), das größte Reiseunternehmen Europas, verzeichnet 1971 1,4 Mio. Buchungen (Tochterfirmen: Touropa, Scharnow, Hummel, Dr. Tigges, Airtours). Die Neckermann-Tochtergesellschaft N-U-R (Neckermann und Reisen) verkauft 550 000 Reisen.

Den Vormarsch von Neulingen wie Transeuropa, g-u-t und International Tourist Services versuchen die Branchenriesen durch knapp kalkulierte Preise zu stoppen. Nutznießer dieses harten Wettbewerbs ist der Verbraucher: Selten zuvor waren Urlaubsreisen billiger als 1971.

Beliebtestes inländisches Reiseziel der Bundesdeutschen bleibt Bayern, das 4,4 Mio. Urlaubsreisen verzeichnet. Dem weißblauen Freistaat folgen in der Beliebtheitsskala die Bundesländer Baden-Württemberg (2,7 Mio.), Niedersachsen (2,3 Mio.) und Schleswig-Holstein (2,2 Mio.).

Den insgesamt 16,8 Mio. Inlandsreisen stehen 14,2 Mio. Urlaubs- und Erholungsreisen der Bundesdeutschen ins Ausland gegenüber. Hauptreiseland ist nach wie vor Österreich mit 4,4 Mio. Reisen, an zweiter Stelle steht Italien (2,9 Mio. Reisen). Mit großem Abstand folgen Spanien (1,7 Mio.), die Schweiz (0,8 Mio.) und Jugoslawien (0,78 Mio.).

Auf wachsende Kritik der deutschen Urlauber stoßen überfüllte Strände, verschmutzte Küsten und zubetonierte Ferienorte. Die Folgen des Massentourismus in den in- und ausländischen Ferienzielen verleiden vielen erholungssuchenden Touristen die Urlaubsfreuden. Erste Konsequenzen daraus bekommt Italien zu spüren: Die Buchungen in den Ferien-Dorados an Riviera und Adria gehen um rund 10% zurück.

Der Ferntourismus entwickelt sich 1971 insgesamt nur langsam. Lediglich 9,7% aller Auslandsreisen der Bundesbürger haben außereuropäische Länder zum Ziel. Die teuren Fernreisen bleiben vorerst den best verdienenden Bundesbürgern vorbehalten.

Zum favorisierten Urlaubsziel bundesdeutscher Polit-Prominenz entwickelt sich 1971 Ostafrika: Nachdem sich Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller in der kenianischen Hafenstadt Mombasa von der Währungskrise erholt hat, jettet Bundeskanzler Willy Brandt zum Forellen-Fischen nach Kenia. Im Dezember tritt Verteidigungsminister Helmut Schmidt in Tansania einen Dreiwochen-Urlaub mit Jagd- und Foto-Safari an. Sein Amtsvorgänger Franz Josef Strauß pirscht dagegen ohne Rücksicht auf politische Verhältnisse sowohl im sozialistischen Tansania als auch im rassistischen Südafrika.

Bei ihrer Freizeitgestaltung finden immer mehr Bundesbürger Geschmack an Sportarten, die ihnen den »gewissen Nervenkitzel« verschaffen. So fasst das Auto-Cross-Rennen, das in Großbritannien und Österreich schon lange populär ist, nun auch in Deutschland Fuß. Bei Rennen über hügelige Sandpisten und verschlammte Haarnadelkurven erproben StVO-gebeutelte Carboys ihre automobile Geschicklichkeit.

Wachsender Beliebtheit erfreut sich auch das Strandsegeln. Die »fahrenden Surfbretter« erreichen Höchstgeschwindigkeiten von 120 km/h. Motor ist allein der Wind. Hupe und Bremse sind bei Wettrennen Vorschrift. Die Segler kosten zwischen 2000 und 8500 DM. Wer das Abenteuer auf See sucht, kann vor Helgoland hochseeangeln. Dabei hängt dann mitunter ein kleiner Hundshai an der Rute.

Chroniknet