Ernährung, Essen und Trinken 1973:
»Weg von der schweren deutschen Hausmannskost mit deftigen Kartoffelgerichten«, lautet auch weiterhin das Credo der Bundesbürger. Die kulinarischen Wünsche der Deutschen haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Das Jahr 1973 zeichnet sich dabei besonders durch folgende Trends aus: Leicht und möglichst exotisch soll der neue Speiseplan aussehen, und das Kochen muss schnell und einfach zu bewerkstelligen sein.
Die Neugier auf exotische Früchte- und Gemüsesorten wird dabei auch von den Großimporteuren gefördert, die dem bundesdeutschen Verbraucher immer neue Genüsse aus fernen Ländern »frisch auf den Tisch« liefern. Das neue Fruchtangebot wird dankbar angenommen, da es die heimische Ernährungspalette bereichert und es ermöglicht, exotisch zu kochen und zu essen. Neu auf dem bundesdeutschen Markt sind z.B. die Papaya, die Mango, die Passionsfrucht, die Aubergine oder die Avocado.
Wer sich aber nicht selbst an die Zubereitung dieser »Exoten« wagen möchte, dem bietet die ausländische Gastronomie in der Bundesrepublik inzwischen eine reiche Auswahl. Am populärsten ist immer noch der Besuch beim »Italiener«. So hält der Siegeszug der Pizza und der Spaghetti auch weiterhin an. Doch neben der italienischen, griechischen und jugoslawischen Küche halten jetzt auch türkische, chinesische und indische Restaurants Einzug in bundesdeutsche Städte.
Mit diesem Interesse an ausländischen Speisen geht der Trend zu exotischen Getränken einher. Immer beliebter werden mediterrane oder tropische Bowlen, Cocktails und Liköre. Das aus dem Spanienurlaub mitgebrachte Rezept für eine Rotwein-Sangria verdrängt die bislang sehr beliebte Erdbeerbowle. Aber auch Säfte auf der Basis von Südfrüchten und scharfe Gewürzsäfte (Sangrita) sind zunehmend im Kommen.
Mit der fremden Küche hat sich auch der Nahrungsmittelverbrauch der Bundesdeutschen geändert. Aß der Durchschnittsdeutsche in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg noch vier Zentner Kartoffeln und über zwei Zentner Getreideprodukte pro Jahr, so verzehrt er heute davon nur noch jeweils die Hälfte. Stattdessen isst er 50% mehr Fleisch, und der Pro-Kopf-Verbrauch von Obst hat sich sogar verdreifacht. An die Stelle von stark sättigenden Kartoffel- und Getreidegerichten ist das Bedürfnis nach »leichter Küche« getreten. Immer mehr Hersteller preisen ihre Produkte als kalorienarm oder kalorienreduziert an. Diese Lebensmittel sollen es Übergewichtigen erleichtern abzunehmen. Aber auch Normalgewichtige ziehen es vor, leicht zu essen: Vegetarische Gerichte werden zu Hauptmahlzeiten, und leichte Saucen auf der Basis von saurer Sahne ersetzen schwere Mehlschwitzen. Mit der leichten Küche einher gehen die neuen Diät-Biere, die bedeutend weniger Kalorien und Alkohol enthalten.
Die Nahrungsmittelindustrie hat sich auch auf die Bedürfnisse einer weiteren Bevölkerungsgruppe eingestellt: Für Berufstätige, die nicht viel Zeit zum Einkaufen und Kochen haben oder aber auch für Hausfrauen, die nicht den ganzen Tag in der Küche stehen wollen, gibt es inzwischen eine Fülle von Fertig- und Gefriergerichten. Dieser Trend zur schnellen Mahlzeit wird auch durch Trockenprodukte, die das Kochen vereinfachen und beschleunigen, unterstützt. Neben löslichem Pulverkaffee, Instant-Brühe, Gewürzmischungen und Fertigsaucen gibt es jetzt auch fertige Instant-Suppen im Portionsbeutel, die nur noch mit kochendem Wasser aufgegossen werden müssen. Ebenso bietet der Markt eine Vielzahl von Desserts und Kuchen in Pulverform an, die einfach zuzubereiten sind. Die zumeist nur mit kalter Milch anzurührenden Süßspeisen können auch schon von Kindern bereitet werden.
Für Leute, die es eilig haben, gibt es seit neuestem einzeln abgepackte, jederzeit und überall rasch zu verzehrende Käsescheiben (Scheibletten), von hohem Nährwert.