Qualität und moderne Form

Wohnen und Design 1973:

Der Funktionalismus, der das Design bis in die späten 60er Jahre hinein geprägt hat, erfährt in den 70ern einige Ergänzungen. Was bislang eher streng und kalt wirkte, nimmt jetzt oft freundlichere, manchmal verspielt wirkende, oft gleichzeitig futuristische Qualitäten an. Das gilt beispielsweise für Möbel: Die modernen und oft verwandten Materialien Schaumstoff und Plastik signalisieren Wandelbarkeit und Anpassung an individuelle Wohnwünsche. Der Star-Designer Luigi Colani – ein Berliner mit italienischem Namen – sagt über seine Arbeit: »Im Mittelpunkt meiner Überlegungen stehen der Mensch und seine Bewegungsbedürfnisse.« Seine Möbel sehen oft exzentrisch aus, bleiben jedoch immer funktional.

Die gesellschaftlichen Veränderungen seit den späten 60er Jahren machen sich auch in der Wohnmode bemerkbar. So gilt es als schick, Möbeln durch gestalterische Eingriffe ein »jugendliches« Aussehen zu verleihen, etwa, indem man starre Rechteckigkeit durch abgerundete Formen ersetzt. Knallige Farben wie z.B. Orange sprechen die Sinne und Gefühle an. Eine »gute« oder »richtige« Form für Möbel und Gebrauchsgegenstände gibt es nicht mehr – utopische Entwürfe sind erlaubt und gewünscht, während gleichzeitig solide Rustikalmöbel dem Geschmack eines breiten Publikums entsprechen.

Zwar präsentiert sich 1973 sicher nicht jedes bundesdeutsche Wohnzimmer als »Wohnlandschaft« in Popfarben und kuschelig-liederlicher Hippie-Atmosphäre, immerhin aber finden Elemente eines solchen Szenarios Eingang in viele Haushalte oder »Jugendstudios«. Während man sich also im Westen um Modernität bemüht, wartet das Design in der DDR mit dem »kargen Charme bemühter Anständigkeit« auf, wie es der Kulturphilosoph Gert Selle später ausdrückt. Hier sind es weniger gesellschaftliche oder ästhetische Entwicklungen, die das Aussehen der Dinge bestimmen, sondern eher die Erfordernisse der zentral geplanten Bedarfsdeckungswirtschaft. Dass Plastikprodukte in grellen Bonbonfarben erstrahlen, hat seine Ursache im höheren Preis dezenterer Farbmischungen. Und wenn das Mittelteil eines Staubsaugers aus kunstlederbezogener Pappe besteht, dann deshalb, weil dies die gerade verfügbaren Materialien sind. Auf warenästhetische Erwägungen brauchen sich die DDR-Designer nicht zu konzentrieren, weil es keine Werbung gibt und das Produktimage eher unwichtig ist.

Doch existiert jenseits der wirtschaftlichen Vorgaben eine staatlich organisierte Designpolitik in der DDR, die sich allerdings vornehmlich um Industriedesign kümmert. Das dafür zuständige Amt für industrielle Formgestaltung (AIF) verpflichtete 1973 alle Betriebe, entsprechende Aufträge ausschließlich an das Amt zu vergeben und bootet damit die freiberuflichen Designer aus. Heftige Kontroversen zwischen dem Verband bildender Künstler, in dem die Designer organisiert sind, und dem AIF sind die Folge.

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