Ponchos und Kosakenmäntel: Folklore-Look ist angesagt

Mode 1976:

»Der 28. Juli 1976 wird in die Modegeschichte eingehen« kann man in vielen internationalen Zeitschriften der Branche lesen. Der Grund: Yves Saint Laurent stellt vor 700 Gästen Folklore-Mode par excellence vor. Bäuerliche Kleider aller östlichen Nationen halten für Ideen her, die sich als reizvolle Zusammenstellungen von dumpfen und glänzenden Materialien erweisen. Nähte und Säume sind durch Paspeln und Borten stark betont. Der Pariser Modeschöpfer bietet ein Gewoge bunter Trachten: »Kosaken-Mäntel über Bojaren-Röcken, Zigeunerinnentücher zu Fuchsmützen und gestickten Bolerowesten, hauchzarte Blusen, dazu stets der superweite Rock mit Gürtel, Schärpe und Sattel« (Süddeutsche Zeitung).

Andere Designer lassen sich von China inspirieren: Blaue Steppjacken, die nicht geknöpft, sondern asymmetrisch gebunden werden. Chinesische Drachen, Blumen und Vögel zieren Kimonos, Plaids, Jäckchen und Täschchen. Die ausgefallensten Ideen jedoch präsentiert Kendo. Der Japaner verarbeitet für seine »JAP«-Kollektion nicht nur die Folklore seiner Heimat, sondern bayerische Walkjanker und englische Fischertaschen. Trotz aller Pariser Modeeuphorie bleibt in diesem Sommer den Couture-Häusern ein Streik der Midinetten, der chronisch unterbezahlten Näherinnen nicht erspart. Die reine Handarbeit ist kaum mehr gebührend zu bezahlen, und die Näherinnen weigern sich, die neuen maschinellen Methoden zu erlernen. Auch die Zahl der Privatkundinnen, für die die Haute Couture arbeitet, schrumpft zunehmend und wird vom »Figaro« auf derzeit 500 bis 1500 geschätzt.

Wer sich nicht so extrem kleiden will, wie es die Designer in Paris vormachen, trägt zumindest ein großes Reise-Plaid, kariert oder aus Wollmusselin mit Bauernrosen bedruckt, über einem weiten Cape. Das einfache Shift-Kleid wird mit einem Bindegürtel aus farbigen Folkloreborten mit Kordeln und Quasten am Ende, der brave Kamelhaarmantel mit einer Marokko-Tasche aufgeputzt.

Wer sich nicht für die Folklore-Mode erwärmen kann, ist mit dem Dandylook up to date. Dazu gehört ein Hosenanzug aus Flanell in Nadelstreif, in Weiß oder Schwarz. Die Hose ist noch weit, aber nicht mehr extrem. Sie kann durch einen nicht allzu langen Rock mit Seitenschlitz ersetzt werden. Dazu ist eine Schleifenbluse obligat.

In der Saumlänge einigt man sich auf kniebedeckend, nur Mädchen tragen sommerliche Folklore-Kleider auch in Maxi-Länge. Zu allen Kleid- und Hosenanzugsmodellen dürfen Tuniken und Kasacks nicht fehlen. Sie ersetzen die Jacke.

Mäntel stehen ebenfalls unter folkloristischem Einfluss Edel-Babuschka-Mäntel in Blau mit schwarzen Blenden mit einem an die leicht hochliegende Taille angekräuseltem Rock, Ponchos jeder Art, Beduinenmäntel, Capes aus Schottenkaro oder Karomäntel mit Knebelverschluss und Kapuze. Dazu werden vorzugsweise hohe Schaftstiefel und Häkelkappe mit breitem Pelzrand getragen.

In der Abendmode sind die Designer von zauberhaften Zarenreminiszenzen bis hin zu traumschönen Türkentand à la 1001 Nacht inspiriert: Haremshosen aus schillerndem Taft, Zuavenhosen mit Goldpaspeln, auch als Overalls gearbeitet, reich bestickte Blusen unter purpurroten oder smaragdgrünen Samtboleros, die von Goldtressen eingefasst sind. Ergänzt wird die märchenhafte Kombination durch ein turbanartiges Kopftuch aus goldfarbenem Satin.

Gold löst für die notwendigen Accessoires alle Probleme, denn es passt farblich zu allem. Umhängetaschen, Gürtel, Schuhe und Stiefeletten, allesamt sind sie aus Gold.

Der Stoff dieses Jahres heißt Blue Denim, das Material, aus dem Jeans gefertigt sind. Man spricht bereits vom blauen Wunder und registriert Verkaufssteigerungen um 30%. »Jeans sind ›inner‹ denn je« registriert die deutsche Modejournalistin Ursula von Kardorff. Vom Bikini bis zum Mantel, vom Overall bis zum Kleid ist alles aus Denim, wobei das Himmelblau dem klassischen Indigo weicht. Zur Krempeljeans gesellen sich freche Ringelsöckchen.

Die Herrenmode ist wenig von der Folklorestimmung der Damenmode beeinflusst aber sie wird lässiger und bequemer. »Schlank, aber bequem, die Schultern notfalls verbreitert, die Hosen mit zwei Bundfalten, was bedeutet, dass die Taschen wieder funktionell geworden sind«, so beschreibt der deutsche Star-Schneider Max Dietl die neue Anzugfasson. Insgesamt aber wagen es die Herrenschneider noch nicht, die Taillierung vollkommen zu negieren. Vorbild für die an Weite gewinnende Herrenmode ist der nostalgische Rückblick auf die 30er Jahre unter der Bezeichnung Gatsby-Mode. Der englische »Country-Style« wird im Sinne von »Country goes to town« auch von den französischen Herren-Couturiers wie Daniel Hechter, Ted Lapidus, Nino Cherruti und Jean Cacharel vertreten. Die Pariser dagegen bleiben der anliegenderen Linie noch etwas treu. In der Konfektion dagegen herrscht die figurbetonte Zigarettenlinie mit nach unten erweiterten Hosenbeinen vor.

Der Pariser Designer Pierre Cardin stellt Pelzmäntel für den Herrn vor. Als ausgesprochener »Männerpelz« gelten Wolf und Fuchs.

Zur Freizeitkleidung des Mannes zählen nach wie vor Jeans, neben Cordhosen sowie im topmodischen Bereich Knickerbocker mit Norfolkjacke aus Glencheck oder Pfeffer-und-Salz-Stoffe. Die Freizeithose wird in die Stiefel gesteckt, so dass auch hier eine schmale Knickerbocker-Optik entsteht.

Chroniknet