Verkehr 1989:
Bestimmendes verkehrspolitisches Thema bleibt auch 1989 der Konflikt zwischen Schiene und Straße vor allem im Güterverkehr. Obwohl die Klagen über Abgas- und Lärmbelästigung, über Umweltschäden und Flächenverbrauch des Straßenverkehrs stetig wachsen, kann von einem Umdenken zugunsten des Bahntransports nicht die Rede sein.
1989 werden im Güterverkehr in der Bundesrepublik Deutschland 180 Mrd. Tonnenkilometer durch Lkw geleistet, gegenüber 78,7 Tonnenkilometer zehn Jahre zuvor. Experten rechnen mit einer weiteren Zunahme bis zum Jahr 2000 um 25 bis 44%. Auf Schienenwegen werden dagegen nur 59 Mrd. Tonnenkilometer abgewickelt, über 7 Mrd. weniger als 1979.
Als Ursachen für die Bevorzugung des Straßenverkehrs gelten die größere Flexibilität und Schnelligkeit der Lkw. Der Bundesbahn fehlt es demgegenüber an Geldern für Personal und Investitionen, mit denen sie den Rückstand aufholen könnte. Ihr Defizit steigt 1989 weiter an, auf 4,9 Mrd. DM.
Die Bundesregierung übernimmt zwar im Rahmen eines Sanierungsprogramms die Altschulden der Bahn aus der Zeit vor 1949 in Höhe von 12,6 Mrd. DM, lehnt es aber ab, für die Wegekosten aufzukommen. Dadurch fühlt sich die Bahn im Nachteil: Während sie für Unterhalt und Modernisierung des Streckennetzes sowie Neubauprojekte wie das Hochgeschwindigkeitsnetz für den geplanten ICE selbst aufkommen muss werden die Straßen vom Staat finanziert.
Wo der verkehrspolitische Schwerpunkt gesetzt ist, lässt sich schon daran ablesen, dass die bundesdeutschen Autobahnen seit 1970 auf die doppelte Länge angewachsen sind, während das Schienennetz erheblich verkürzt wurde.
Angesichts der wachsenden Blechlawine sinnen die klassischen Transitländer Schweiz und Österreich auf Abhilfe. Bereits jetzt beträgt der Güterverkehr über die Alpen jährlich rund 60 Mio. t, durch den geplanten Europäischen Binnenmarkt wird bis Anfang des 21. Jahrhunderts mit einer Verdoppelung gerechnet.
Nachdem die Schweizer nur noch Lkw bis zu 28 t zum Transit zulassen, ist der Güterverkehr auf den österreichischen Straßen drastisch gestiegen. Zum Ärger seiner Nachbarn erlässt Österreich deshalb zum 1. Dezember 1989 ein Nachtfahrverbot für Lastwagen über 7,5 t (<!– –>20.9.<!– –>).
Beide Alpenländer setzen auf den kombinierten Straßen-Schienen-Verkehr: Die Lastwagen sollen im Huckepackverfahren per Bahn durch die Alpen transportiert werden. Hierfür ist der Bau neuer Tunnel erforderlich, an deren Kosten sich die Europäische Gemeinschaft beteiligen will.
Die Schweizer beschließen unter dem Schlagwort Neue Eisenbahn-Alpentransversale 1989 den Bau eines 49,3 km langen Basistunnels durch das Sankt-Gotthardt-Massiv, dessen Kosten auf 13,8 Mrd. DM veranschlagt werden. In Österreich soll mit Kosten von etwa 14 Mrd. DM ein 54,7 km langer Tunnel zwischen Innsbruck und Südtirol gebaut werden. Kritiker befürchten, dass bis zur Fertigstellung der Transitstrecken zwischen 2005 und 2010 die Kapazitäten nicht mehr ausreichen.
Ein weiterer verkehrspolitischer Dauerkonflikt erreicht im Mai 1989 in West-Berlin einen neuen Höhepunkt. Nachdem auf der 8 km langen Stadtautobahn Avus wegen der hohen Unfallzahlen ein Tempolimit von 100 km/h eingeführt worden ist, blockieren am 3. Juni 20 000 Autofahrer die Schnellstraße, um gegen »Schikane« und »Gängelei des Bürgers« zu protestieren. Am Fahrbahnrand formiert sich eine Gegendemonstration, die Tempo 100 auf der Avus und Tempo 30 in der Stadt fordert.
Im Luftverkehr sieht sich die staatliche Fluggesellschaft Lufthansa 1989 einer ungewohnten Situation gegenüber: Erstmals machen ihr mit Aero Lloyd, German Wings und Air Europe private Linien Konkurrenz. In einem Rechtsstreit wird die Lufthansa gezwungen, im Linienverkehr Tickets der German Wings anzuerkennen.