Frankfurt setzt Maßstäbe

Frankfurt setzt Maßstäbe
Frankfurter Messeturm vom deutschen Architekt Helmut Jahn. © Foto Josef Höckner, München

Architektur 1990:

Was sich in den 80er Jahren angedeutet hat, wird 1990 offenbar: Die Main-Metropole Frankfurt beansprucht einen führenden Platz unter den Zentren der architektonischen Avantgarde. Die Fertigstellung von zwei Museumsbauten und des Messeturms erregt weltweit Aufmerksamkeit und bestätigt Frankfurts neues Image als Stadt der Kunst und des Kommerzes.

Der wohl anspruchsvollste Bau ist Günter Behnischs Deutsches Postmuseum, ein heiteres, lichtes Konstrukt aus Glasflächen, Aluminiumverkleidungen und High-Tech-Details, das sich selbstbewusst aber respektvoll in die Umgebung des Museumsufers einfügt. Sein Inneres besticht durch Weite und Transparenz; traditionelle Raumgrenzen sind hinter den Glasfassaden aufgehoben, elegante Freitreppen verbinden die verschiedenen Ebenen.

Unweit davon errichtet der Österreicher Gustav Peichl den Erweiterungstrakt des Städel-Museums: Elegant auch dieser, doch blockartig geschlossen, außen fast abweisend, innen dekorativ ausgestattet mit exquisiten Materialien. Peichl greift dabei Stilformen der Jahrhundertwende, der Zeit der Wiener Sezession, auf und stellt sie in einen modernen Kontext.

Frankfurter Messeturm, Architekt Helmut Jahn. © Foto Josef Höckner, München

Frankfurter Messeturm, Architekt Helmut Jahn. © Foto Josef Höckner, München

Auch die Postmoderne ist vertreten: Neben Helmut Jahns Messeturm variiert das Museum für Vor- und Frühgeschichte – ein Werk von Josef Paul Kleihues – das Thema Tradition und Moderne: Das Querschiff der gotischen Karmeliterkirche ist effektvoll in die Fassade des Neubaus integriert. Die historische Substanz wird durch die zweckmäßigen, zugleich zeitgemäßen Neubautrakte flankiert und wie ein Juwel gerahmt.

Interessante Entwicklungen gibt es 1990 auch außerhalb Frankfurts: In Köln-Müngersdorf erweitert Oswald Mathias Ungers sein Privatgrundstück zu einem Forschungszentrum für Architekturwissenschaft und zu einer »Miniaturstadt«, in der Kunst und Natur verschmelzen. Für seine Privatbibliothek konstruiert er dazu ein streng gegliedertes, klassisches Gebäude aus heimischen Materialien, dem Ziegelstein und der Basaltlava der Eifel.

Vollkommen unklassisch gibt sich dagegen der wohl spektakulärste Bau des Jahres, das Vitra-Design-Museum, Kernstück des Werk- und Ausstellungsgeländes der Möbelfirma Vitra in Weil am Rhein. Der kalifornische Architekt Frank Gehry entwarf für den architekturbegeisterten Firmenchef Rolf Fehlbaum eine überdimensionale Skulptur aus sich verkeilenden, weißen Betonkörpern. Der von außen verwirrend anmutende Bau ist in seinem Inneren erstaunlich übersichtlich und zurückhaltend, ein idealer Ausstellungsort für avantgardistisches Design. Die positive Resonanz auf den bahnbrechenden Bau veranlasst Fehlbaum, auch für weitere Firmenanlagen Architekten der Avantgarde heranzuziehen. So werden der Portugiese Alvaro Siza, der Japaner Tadao Ando und die irakische Architektin Zaha Hadid mit der Planung weiterer Anlagen in Weil beauftragt. Gehry selbst liefert den Entwurf für die Produktionshalle des Möbelkonzerns.

In Wien macht das Haas-Haus von Hans Hollein Schlagzeilen: In Sichtweite des Stephansdoms fordert der glitzernde Konsumtempel, frech, irrational, verspielt bis zum Kitsch, Architekturkritiker zu kontroversen Stellungnahmen heraus. Die Vielfalt an oft gegensätzlichen Elementen rechtfertigt der Künstler mit den Widersprüchen unserer Zeit. Trotz erbittertem Streit in der Öffentlichkeit wird der Bau zu einer neuen Attraktion der Donaumetropole.

In Frankreich erweist sich einmal mehr Jean Nouvel als architektonischer Trendsetter der späten 80er und frühen 90er Jahre. Seine von Science-Fiction-Filmen inspirierte Ästhetik, gleichzeitig aber ein sicheres Gespür für die Schönheit klassisch-abstrakter Formen treffen die Ideale der Techno-Kultur. Sein Dokumentations- und Wissenschaftszentrum INIST in Nancy, das 1990 eingeweiht wird, ist ein Meisterwerk technologischer Präzision und zeitloser Eleganz.

Chroniknet