Neue Reklamebotschaften

Werbung 1990:

Im Jahr der deutschen Einheit tut sich die Werbeindustrie noch schwer, die neuen Kunden in Ostdeutschland anzusprechen. 68% der DDR-Bevölkerung empfinden die Westreklame als aufdringlich, z.T. sogar als lächerlich, so eine Umfrage. »Erschreckend und dreist«, nennt z.B. die DDR-Frauenzeitschrift »Für Dich« sexistische Auswüchse der Westreklame. »Aprilfrische« Waschmittelreklame kommt in Ostdeutschland ebenso wenig an wie festverzinslichen Wertpapiere einer Bausparkasse – werden die bundesdeutschen Alltagsbegriffe doch in den neuen Ländern noch nicht verstanden. »Was im Westen unabdingbar war, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erzeugen, stieß im Osten oft auf Unverständnis oder wurde schlicht als Show abgetan«, lautet das Branchenresümee zum Jahresende.

Dennoch stabilisiert sich die Werbung im Osten in gleichem Maß wie die ehemaligen DDR-Bürger auf den Geschmack des Westkonsums kommen. Nach der Vereinigung geht es in den fünf neuen Bundesländern sogar weitaus dynamischer aufwärts als im Westen – wenn auch auf niedrigerem Niveau. 1990 nehmen die Werbeträger 0,25 Mrd. DM ein, 1991 rechnen sie bereits mit viermal so viel

Im Westen spricht die Branche für 1990 dagegen von einem »Werbeknick«, obwohl die Reklameträger mit knapp 24 Mrd. DM ein Plus von 5,1% vorweisen können. Im Vorjahr gab es mit insgesamt 9,8% aber deutlich mehr.

Dennoch scheint der Werbeboom ungebrochen, vermittelt die steigende Reklameflut. Niemand kann den Werbetafeln und Postwurfsendungen, den Radio- und Fernsehspots oder den Zeitungsanzeigen entrinnen: Täglich stößt jeder Deutsche im Schnitt 1000-mal auf Kaufangebote und -verführungen jeder Art – US-Bürger erhalten aber viermal so viele Reklamebotschaften. Umgerechnet 541 DM Werbung entfallen dort 1990 auf jeden Einwohner, in Deutschland sind es gerade 139 DM.

Führend in Deutschland ist der Werbeträger Fernsehen. Erstmals liegt 1990 mit dem Kölner Sender RTL das Privatfernsehen an erster Stelle und das, obwohl RTL längst noch nicht alle westdeutschen Haushalte erreicht. Die ARD folgt den RTL-Einnahmen in Höhe von 961 Mio. DM zwar nur knapp mit 959 Mio. DM, verliert damit aber gegenüber dem Vorjahr 245 Mio. DM an Werbeeinnahmen.

Vor allem den Privaten ist damit auch das Plus von ca. 22% zu verdanken, das die Fernsehwerbung 1990 insgesamt verzeichnet. Leidtragende unter dieser neuen Entwicklung sind die Illustrierten, Programmzeitschriften und Fachblätter, die allesamt ein kräftiges Minus hinnehmen müssen.

»Ökologisch« und »light«: Neu sind diese Botschaften auf dem Werbemarkt 1990 zwar nicht mehr, aber umso vehementer vertreten die Agenturen den Slogan. »Kaum ein Packungstext, kaum eine Broschüre, Anzeige oder Kampagne, die sich dieser Themen nicht in irgendeiner Form annahm«, bilanziert die Branche selbst zum Jahresende.

Vor allem die Zigarettenfirmen sind auf diesen Zug aufgesprungen: Die »light«-Kampagne beschert den Agenturen 1990 einen Anstieg der Zigarettenwerbung um 21,5% – und damit den zweitgrößten unter den Wirtschaftszweigen überhaupt.

Die Gesamtsumme der Tabakwerbung von 175 Mio. DM macht allerdings nicht einmal ein Zehntel der 1,24 Mrd. Mark aus, mit denen die Autofirmen als Spitzenreiter auf Kundenwerbung gehen.

Ein Novum bei den Werbestrategien des Jahres könnte den Agenturen zukünftig ein kräftiges Hoch bescheren: Erstmals entdecken auch die Hersteller der Personal Computer die Kaufkraft des breiten Publikums. Fast zeitgleich bringen Apple und IBM ihre Anzeigen auf den Markt, nutzen vor allem die Fernsehspots.

Insgesamt jedenfalls strotzt die Branche im Einheitsjahr vor Optimismus: »Das vereinte Deutschland wird an die Spitze der Werbung in Europa rücken.«

Chroniknet