Grenzenlose Vielfalt

Wohnen und Design 1991:

»Der Mensch sucht den spielerischen Umgang mit der Jetztzeit. Er arrangiert seinen individuellen Mix der Epochen und Stile. Wer morgens im Maßanzug aus dem Haus geht, verrät damit nicht, ob er abends der Zen-Meditation oder der Zierfischzucht nachgeht. Die Zeichen der Zeit heißen nicht entweder/oder, sondern sowohl als auch. Der Megatrend ist klar: Die Uneinheitlichkeit des Spektrums ist seine Kraft.« So charakterisiert der Design-Kritiker Knut Foeckler den Trend der 90er Jahre: Weg von der Suche nach dem allgemeingültigen hin zur Polyphonie der Stile, Abschied von der Risiko-Minimierung zugunsten einer Wagniskultur, die noch das Scheitern als kreativ erlebt.

Das wichtigste Forum für Innenarchitektur ist auch 1991 die Kölner Möbelmesse, die im Januar ihre Tore öffnet. Unter den 1448 Ausstellern aus 33 Staaten haben Vertreter der Avantgarde ein eigenes Center für ihre Ideen. Stark beachtet wird das »Stuhl- und Tischprogramm« der Firma Vitra von Jasper Morrison und das »Regalsystem FNP« von Axel Kufus, das sich intelligent und zeitgemäß präsentiert. Die »Liege« von Hanjo Nagel (Nageldesign, Köln) besteht aus Metallteilen und in eine entsprechende Form gegossenes Altpapier, das durch ökologische Bindemittel haltbar gemacht wird und so den Charakter eines Kunstobjekts erhält. Eine Vorliebe für organische Materialien, die Vergänglichkeit als Lebendigkeit deutet, findet sich auch bei anderen Designern.

Die 30. nationale und 13. internationale Möbelmesse in Mailand (12.-17. 4.) bestätigt nach 18-monatiger Messepause den Trend der Möbelindustrie, sich in der raschen Abfolge immer neuer Kollektionen der Mode anzunähern. Als wegweisend für die Überleitung von der klassischen, klobigen Wohnzimmergarnitur in die Moderne versteht sich die Wohngruppe »Ulisse« von Michele de Lucchi.

Die für kreative Dessins bekannte italienische Firma Abet-Laminati vergibt als Projekt der Designwerkstatt Berlin (Konzept: Christian Borngraeber) einen Experimentierauftrag für Dekore und ihre Anwendung auf Schauobjekten. Unter den Teilnehmern ist auch Andreas Brandolini, dessen fünf Kisten auf eckigen Chromstahlbeinen mit Laminat belegt sind. Das Dessin »Flugtiere« erscheint aus der Ferne als Komposition schwarzer Linien auf weißem Grund, erst von nahem löst sich das beruhigende Grau in Tierbilder auf.

Zu den attraktivsten Designwettbewerben gehört »Audio Lifestyle«, der dritte Entwurfswettbewerb von Sony. Unter 679 Arbeiten aus 44 Ländern geht der dritte Preis an die beiden Deutschen Julian Pahlow und Oliver Grabes für ihren Entwurf »Dr. Jeckyll & Mr. Hyde«, einen ellipsenförmigen Tisch aus sandgestrahltem Metall mit integriertem CD-Player. Funktionale Intelligenz steht im Mittelpunkt des Marlboro Design Förderpreis in Berlin. Hier werden 14 Preise zum Thema »Einfachheit im Design« vergeben.

Zu den wichtigsten Ausstellungen zählt die Werkschau »Münchner Räume – Modelle neuer Innenarchitektur« (Konzept: Hans Ottomeyer und Helmut Bauer) im Münchner Stadtmuseum (1.- 12. 5.). Designer und Architekten aus München sind eingeladen, das Thema Innenarchitektur, das die Avantgarde in den 80er Jahren vernachlässigt hatte, zu interpretieren.

Ein Resümee der 80er Jahre wagt die Schau »Rude ma sincero – Nuovo Design Tedesco« des Goethe-Instituts in Mailand (Konzept: Volker Albus). Hier wird versucht, anhand von ausgewählten Beispielen charakteristische Merkmale des deutschen Designs in den 80er Jahren zu zeigen. Ein Aufsatz von Andrea Branzi stellt die These auf, dass sich das deutsche Design gleichsam auf zwei Ebenen bewegt: »Die untere solide, vertrauenswürdig, zusammengesetzt aus dem expressionistischen Wahnsinn, der alles in sich aufnimmt… Die obere Ebene besitzt eine außerordentliche formale Perfektion, sie ist eine Ebene geheimnisvoller Methodologie.«

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