Kürzungen bei ABM-Stellen

Politik und Gesellschaft 1993:

Eines der schwerwiegendsten wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Deutschland ist nach wie vor die hohe Arbeitslosigkeit.

Ende 1993 sind über 4 Mio. Erwerbslose registriert. Die Zahl der tatsächlich arbeitsuchenden und arbeitswilligen Menschen beziffert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sogar mit rd. 6,5 Mio. Menschen, da zu den registrierten Erwerbslosen auch Teilnehmer an Umschulungs- und Fortbildungskursen, Vorruheständler und die sog. stille Reserve, z. B. Frauen, die in ihren erlernten Beruf zurückkehren wollen, gezählt werden müssten. Im Jahresdurchschnitt sind 1993 in Deutschland rd. 4,5 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter ohne Arbeitsplatz. Von diesen erhalten 55,3% Arbeitslosengeld (68% vom durchschnittlichen Nettoverdienst der vergangenen drei Monate) und 22,2% Arbeitslosenhilfe (58% des Nettolohns); 22,5% erhalten keine Geldleistungen der Bundesanstalt für Arbeit. Die Arbeitslosenquote steigt in ganz Deutschland im Jahresdurchschnitt auf 8,2%. Weiterhin besteht ein großer Unterschied zwischen den Teilarbeitsmärkten der alten und neuen Bundesländer. So ist die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern doppelt so hoch wie in den alten. Sorge bereitet den Verantwortlichen u. a. die starke Zunahme der Langzeitarbeitlosen, deren Zahl im Vergleich zum Vorjahr 1993 in Westdeutschland um 43% auf 356 000 , in den neuen Ländern um 31% auf 594 000 ansteigt.

Angesichts dieser Zahlen unterstreichen SPD und Gewerkschaften ihre Forderung, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, etwa durch den Ausbau der Programme zur Arbeitsbeschaffung (ABM). Allerdings geht die Entwicklung 1993 in die entgegengesetzte Richtung. Aus Einsparungsgründen beschneidet die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ihren ABM-Etat von 12,4 Mrd. DM auf 10,9 Mrd. DM, so dass nur noch 314 000 ABM-Stellen gefördert werden, ein Rückgang um rd. 33%.

Als eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt registriert die Nürnberger Bundesanstalt, dass bei den Lehrstellen ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage besteht. Dennoch ist 1993 fast jeder achte Arbeitslose jünger als 25 Jahre, weil zahlreiche Unternehmen ihre Azubis nach Abschluss der Ausbildung nicht in ein festes Anstellungsverhältnis übernehmen.

Hohe Arbeitslosigkeit ist seit Jahren in allen Industriestaaten ein gravierendes Problem, das die Staatshaushalte belastet und zunehmend zu sozialen Spannungen führt. 1993 überschreitet in den 24 OECD-Ländern (westliche Industriestaaten) die Zahl der Arbeitslosen erstmals die 35-Mio.-Marke. Neben der weltweiten Konjunkturschwäche ist die Verlagerung von Arbeitsplätzen in sog. Billiglohnländer in Osteuropa und Asien eine der Hauptursachen dafür. Die deutschen Arbeitgeber machen vor allem die hohen Lohnkosten für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, eine Sicht, in der sie von der konservativ-liberalen Regierung bestärkt werden.

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger nimmt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich zu, so dass Wohlfahrtsverbände von einer »neuen Armut« sprechen. 1993 erhalten rund 4,9 Mio. Personen Leistungen nach dem Sozialhilfegesetz, rd. 200 000 mehr als im Vorjahr. Die Ausgaben der Städte und Gemeinden für Sozialhilfe steigen von 42,6 Mrd. DM auf 48 Mrd. DM. Ursachen dafür sind neben der hohen Arbeitslosigkeit auch die zunehmende Zahl von alten Menschen mit niedrigen Renten und von Pflegebedürftigen. Im Bereich der Pflegebedürftigkeit soll die Einführung der Pflegeversicherung eine Entlastung für die kommunalen Sozialhilfeetats bringen. 1993 verstärken die Behörden, unterstützt von der Regierung, ihren Kampf gegen den sog. Sozialleistungsmissbrauch. So leitet die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr 46% mehr Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf »Sozialleistungsmissbrauch« ein als im Vorjahr.

Chroniknet