Politik setzt weiter aufs Auto

Verkehr 1993:

Das Auto ist in Deutschland mit weitem Abstand das wichtigste Fortbewegungsmittel. 1993 hat der Pkw einen Anteil am Personenverkehr von 82,2%. Auf den öffentlichen Nahverkehr (Bus, Straßen-, S- und U-Bahn) entfallen 9%. Der Anteil der Bahn beträgt in diesem Erhebungszeitraum 6,4%, der des Flugzeugs 2,4%. Auch im Bereich des Gütertransports liegt die Bahn mit 18% weit hinter dem Lkw mit 62,2% aller Transporte.

Bund und Länder verfolgen seit Jahren in ihrer Verkehrspolitik zwei Linien. Zum einen soll durch den weiteren Ausbau des Straßennetzes und die Einführung von sog. Verkehrsleitsystemen der vor allem in den Ballungszentren drohende »Verkehrsinfarkt« verhindert werden. Auf der anderen Seite soll die Bahn attraktiver gemacht werden, um Autofahrer zum Umsteigen auf dieses vergleichsweise umweltfreundliche Verkehrsmittel zu bewegen.

Diesem Zweck dient u. a. die umfassende Bahnreform, die 1993 beschlossen wird und zum 1. Januar 1994 in Kraft tritt. Kernpunkt ist die Privatisierung von Deutscher Bundesbahn sowie Deutscher Reichsbahn, d. h. die Umwandlung der Staatsbetriebe in eine AG. Die neu geschaffene Deutsche Bahn AG soll nach diesen Plänen weit wirtschaftlicher arbeiten als die wie eine Behörde verwalteten Bahnbetriebe DB und DR.

Geht es nach dem Willen von Industrie und Bundesregierung soll die Eisenbahn Konkurrenz durch die Magnetschwebebahn erhalten. Im Dezember 1993 stimmt das Kabinett einem privaten Finanzierungskonzept für das umstrittene Projekt einer Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin zu. Zwar weist der sog. Transrapid einige Vorzüge auf – u. a. kann er für eine Geschwindigkeit von 350 km/h ausgelegt werden, der Energieverbrauch liegt um 25% unter dem von Hochgeschwindigkeitszügen -, Kritiker halten ihn dennoch für ein unnötiges Prestigeprojekt, das z. B. nicht in das geplante europäische Hochgeschwindigkeitsnetz integriert werden kann.

Die Zahl der Privatautos steigt weiter an. 1993 sind in Deutschland rund 39,2 Mio. Pkw (davon 5,3 Mio. in den neuen Bundesländern) zugelassen, 3,1% mehr als im Vorjahr. Damit verschärfen sich auch die spezifischen Probleme des Individualverkehrs: Luftverschmutzung, Staus, Unfallgefahren. So hat der Autoverkehr am Ausstoß von Kohlenmonoxid in Deutschland einen Anteil von rund 74%, bei Stickoxiden von 68% und bei Kohlendioxid von 18%.

Die konservativ-liberale Bundesregierung setzt allerdings bei ihren Planungen im Hinblick auf das Auto weniger auf eine Reduzierung der Fahrleistung als auf eine Verflüssigung des Verkehrs, wodurch ebenfalls eine Entlastung der Umwelt zu erreichen sei. Im Bundesgebiet laufen 1993 mehrere Versuche mit elektronischen Verkehrsleitsystemen, durch die Staus auf Autobahnen vermieden werden sollen. Dabei erhalten die Autofahrer zentral gesammelte Informationen über Verkehrsdichte etc., um Fahrverhalten, Geschwindigkeit und Streckenführung danach richten zu können.

Zwar lassen sich bei Versuchen mit Verkehrsleitsystemen positive Effekte in Bezug auf Stauvermeidung und Umweltbelastung feststellen, Kritiker halten es jedoch für einen falschen Weg, die Probleme des Autoverkehrs überwiegend mit technischen Mitteln anzugehen. Eine durchgreifende Verbesserung der Umweltsituation könne nur durch eine Reduzierung des individuellen Autoverkehrs erreicht werden. Zu solchen Planungen gehört u. a. die Verminderung des motorisierten Individualverkehrs in den Innenstädten durch den Abbau von Parkmöglichkeiten, die Sperrung von Durchgangsstraßen oder die Erweiterung von Fußgängerzonen. Solche Konzepte für eine autofreie oder autoarme Innenstadt stoßen jedoch immer wieder auf den Widerstand konservativer Kreise, die wirtschaftliche Einbußen vor allem beim Einzelhandel befürchten.

Chroniknet