Werbung 1995:
Trotz knapper Kassen in den Unternehmen wächst auch 1995 das Werbevolumen in Deutschland weiter an: 52,5 Mrd. DM werden in die Werbung investiert, dies ist ein Zuwachs von 3,2% gegenüber dem Vorjahr.
Rd. 35,3 Mrd. DM entfallen auf die Medien. Den Löwenanteil streichen die Tageszeitungen ein, die um rd. 4% zulegen. Bei den elektronischen Medien Fernsehen und Rundfunk verlieren die öffentlich-rechtlichen Anstalten weiter an Boden, während die privaten Sender, allen voran RTL, zulegen.
Den Werbetreibenden macht allerdings die mangelnde Akzeptanz der Fernsehzuschauer Sorgen: Das Werbefachmagazin »Horizont« veröffentlicht im Juli das Ergebnis einer Umfrage, wonach sich fast drei Viertel aller Befragten in Westdeutschland und sogar 82% in den neuen Bundesländern von der Fernsehwerbung gestört fühlen. Auch die Werbeagenturen selbst sind unzufrieden, sie plädieren für kürzere Werbeblöcke und eine Aufhebung der 20-Uhr-Werbegrenze für ARD und ZDF, was die geltenden Richtlinien jedoch nicht erlauben. Von kürzeren Werbeblöcken erhoffen sich die Agenturen eine größere Aufmerksamkeit beim Zuschauer.
Neben der Häufung der TV-Spots ist es die unzureichende Qualität der Fernsehwerbung, die den Zuschauer demotiviert. Dieses Problem scheint auch in anderen Ländern zu bestehen: Bei den Werbefestspielen in Cannes wird 1995 der Grand Prix für den besten TV-Spot nicht vergeben. Auch der begehrte Preis für die besten Anzeigen und Plakate findet mangels Qualität keinen Abnehmer.
Angesichts der Ausbreitung von Datennetzen wird auch dieser Bereich zum Werbemedium. 1995 zählen die Anbieter weltweit bereits mehr als 10 Mio. Kunden. Dabei verschwimmt zunehmend die Grenze zwischen reiner Werbung und direktem Verkauf, weil durch eine Vernetzung von Telefon, Fernseher und Computer (Multimedia) der Kunde unmittelbar auf eine Produktinformation reagieren kann.
Auf den kommerziellen Erfolg der Techno-Welle reagieren viele Werbeagenturen mit dem Einsatz von Trendscouts, um aufgrund aktueller Berichte aus der Jugendszene die richtigen Kampagnen zu schneidern. Noch dichter dran an der Jugend sind sog. Szene-Agenturen, die oft aus der Techno-Szene entstanden sind.
Zu Beginn des Jahres 1995 machen die Brüder Charles und Maurice Saatchi durch den endgültigen Ausstieg aus ihrem einstigen Londoner Werbeimperium von sich reden: Zunächst hatte 1993 Charles die Agentur verlassen, dann setzte eine Gruppe von US-Aktionären seinem Bruder Maurice den Stuhl vor die Tür. Maurice Saatchi kündigte die Gründung einer neuen Firma unter Mitnahme zahlreicher Kunden an. Ein drohender Rechtsstreit wird im Mai 1995 mit einem außergerichtlichen Vergleich beigelegt. In den 80er Jahren hatten die Saatchi-Brüder den zeitweilig weltgrößten Werbekonzern zusammengekauft; als die Werbekonjunktur nachließ, stoppte die zunehmende Schuldenlast die Expansion.
Auf den Trend zur »Ellenbogengesellschaft«, auf wachsende Armut und Arbeitslosigkeit reagieren im Sommer 1995 drei Firmen, die von der Konsumwerbung leben (K + L Druck, Ströer Außenwerbung und die Agentur counterpart), mit einer sog. Sozial-Plakatkampagne. Auf 7000 Großflächenplakaten werden vier Bildmotive präsentiert, die ein Aufruf »Gegen Gleichgültigkeit in Deutschland« (so das Motto der Kampagne) sein sollen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Image-Kampagne »Das wollen wir ändern« der Deutschen Shell. Die 30 Mio. DM teure Aktion, mit der sozial unerwünschte Verhaltensweisen angeprangert werden und mit der sich Shell als sozial engagiertes Unternehmen profilieren wollte, wird zum Flop. Daran trägt allerdings weniger die Kampagne die Schuld als vielmehr die Negativwerbung wegen der geplanten Versenkung der Shell-Ölplattform »Brent Spar«.