Mode 1997:
Durchsichtiges ist der wichtigste Modefaktor in diesem Sommer, zumindest in der Jugendmode. Transparente, knapp geschnittene Tops werden mit Satinstreifen unterlegt oder dürfen den Büstenhalter zur Geltung kommen lassen. Vielfach nehmen aufgedruckte zarte Blumenmuster sowie Tattoo- oder Engelchen-Motive die Transparenz. Die zarten Oberteile stehen jedoch im Gegensatz zu der noch immer herrschenden Schuhmode mit ihren plumpen, bis zu zehn Zentimeter hohen Plateausohlen.
Transparenz ist der gemeinsame Nenner auch der Designermode, die sich ansonsten stilistisch konträrer denn je gestaltet: Die eine huldigt dem Purismus, die andere schwelgt in spielerischer Opulenz. Die namhaftesten Vertreter des Purismus beziehungsweise Minimalismus – Helmut Lang, Giorgio Armani, Gucci, Jil Sander oder Strenesse, jenes neuerdings so erfolgreiche deutsche Modelabel – geben ihren androgynen Hosenanzügen durch asymmetrische Knöpfungen, Revers oder Wickelungen eine enorme Vielfalt.
Auch diese Designer fügen einen Touch Weiblichkeit mittels transparenter Tops hinzu. Ihre Schlauchkleider weisen schräge Fältelungen oder raffinierte Einsätze aus transparenten Stoffen wie Chiffon, Netzgewebe oder Spitze auf. Ihr Stil wird geprägt durch Polymaterialien, chromartig glänzendes Nappa- oder Kunstleder und verschiedenfarbige übereinandergezogene transparente Stoffe.
Miuccia Prada »mildert« ihre strengen, eher männlichen Armeehemden und sandfarbenen Hosen durch Gehrockjacken oder bietet wadenlange Röcke als Alternative, die aus einem rot- oder blauschimmernden Satin mit ansprechendem Blumenmuster sind. Damit gibt sie ihrer Mode einen asiatischen Anklang, der in diesem Jahr so sehr en vogue ist. Dolce & Gabbana, die erfolgreiche Marke des Sizilianers Domenico Dolce und des Mailänders Stefano Gabbana, setzt auf Efeurankenmuster neben den bewährten Animalprints. Ihre körperbetonte Mode ist insgesamt von der Erotik der italienischen Filmstars der 50er Jahre geprägt: Ein schwarzes Mieder oder ein Etwas, das früher als Unterkleid galt, wird zur Oberbekleidung transformiert.
Viele Designer bieten eine Mischung aus »tough and tender«, mixen Jacken in Nadelstreifen- oder Glencheckmustern mit romantischen Kleidern aus hauchzarten, mit Blüten übersäten Stoffen oder aus Samt mit ausgebrannten Jugendstil-Mustern. Auch Lingeriekleider sind »in«.
In geradezu exotischer Opulenz schwelgen die neuen Designer – Alexander McQueen und John Galliano – der Pariser Renommee-Häuser Givenchy und Dior. Beide Häuser sind im Besitz des Konzerns Louis-Vuitton-Moët-Henessy.
John Galliano überträgt – ganz im Stil der Postmoderne – spektakuläre Roben der Vergangenheit, zumal des Fin de siècle, und asiatisches Flair auf aktuelles Modeverständnis. Damen der Belle Epoque mit engen Sans-ventre-Korsagen und hundertreihigen Jet-Perlenketten mischen sich mit Massai-Prinzessinnen und federgeschmückten Paradiesvogel-Göttinnen, was – kaum zu glauben – ohne den üppigen Schmuck und die phantasievollen Kopfarrangements durchaus tragbar ist. Eklektizismus und Opulenz revitalisieren Diors New-Look: Eine Mode, die im »Herald Tribune« als »göttlicher Wahnsinn« charakterisiert wird. Bei allem Laufsteg-Glamour aber ist auch bei John Galliano die Basis der Mode der perfekte Schnitt.
Noch provokanter in seinen Schockinszenierungen ist der 27-jährige Alexander McQueen, der bei seinen eigenen Schauen gelegentlich auch blutverschmierte Models in zerrissenen Spitzenkleidern über den Laufsteg wanken lässt. Die erste Givenchy-McQueen-Kollektion bringt durchaus Tragbares, aber das Publikum stört sich an Schminke und Frisur (wie Kopfputz aus goldenen Widderhörnern) und an den Nasenringen der Models.
Die Haute Couture hat wieder ihren Stellenwert als Ideenreservoir und Impulsgeber gefunden, so dass selbst so namhafte Pret-à-porter-Designer wie Jean-Paul Gaultier und Thierry Mugler ihre erste Haute-Couture-Kollektion auf den Laufsteg bringen. Die britische Designerin Vivienne Westwood inszeniert ihre Mode wie Roben der Vergangenheit. In ihrer Haute-Couture-Kollektion »Five Centuries Ago« stilisiert sie ihre Kleider nach den Roben auf berühmten Gemälden. Damit drückt die Haute Couture Emotionen und Träume aus.