Im Schatten des Titans

Im Schatten des Titans
Detailansicht der Titanplatten der Museumswand. By Phillip Maiwald (Nikopol) (Own work) [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Architektur 1997:

Frank O. Gehry und sein titanblechverkleideter Koloss des Guggenheim-Museums in Bilbao beherrschen die Schlagzeilen. Von dem Jahrhundertwerk ist die Rede, von Gehrys Meisterstück, vom Meilenstein zeitgenössischer Architektur. In der Tat besitzt der Bau am Ufer des Nervión einen außergewöhnlichen ästhetischen Reiz: Wie alle Werke Gehrys gleicht er einer überdimensionalen Skulptur, bestehend aus organischen Gebilden mit glühender Haut, schimmernden Eisbergen, die sich mit ungeheurer Gewalt gegeneinanderschieben. Von zusätzlicher Raffinesse sind die Oberflächen der wuchtigen Blöcke, die nicht plan, sondern mit Hunderten leicht gewellter Metallschuppen überzogen sind. Sie reflektieren das Licht auf immer neue Weise und tragen zur »außerirdischen« Erscheinung des Museums bei.

Wie bei Gehry gewohnt, liegt dem Ganzen ein ausgefeilter Entwurfs- und Konstruktionsprozess zugrunde, der weitgehend am Computer erfolgte. Alle Teile des stählernen Raumtragwerks, der gekrümmten Sekundärstruktur und der Verkleidungen wurden am Bildschirm errechnet, mit Präzisionswerkzeugen zugeschnitten und erst später am Ort montiert. Das Guggenheim-Museum ist nicht der erste avantgardistische Bau, den sich die baskische Metropole leistet: Nach Santiago Calatravas Fußgängerbrücke und Norman Fosters U-Bahnstationen sind nun Cesar Pelli und Michael Wilford für weitere Projekte im Gespräch.

Museumsbauten erweisen sich nach wie vor als kommunale Imageträger und Publikumsmagneten. So auch das Tinguely-Museum in Basel, das Mario Botta entworfen hat.

Fast gleichzeitig vollendet Peter Zumthor, der an Bottas Architekturakademie im Tessin lehrt, das Bregenzer Kunsthaus. Doppelt so groß und fast dreimal so teuer wie geplant, gibt sich der verglaste Kubus als hieratischer Block, zeitlos und irgendwie fremd in der Textur der Bodenseestadt. Seine geheimnisvolle Aura verdankt der perfekt proportionierte Bau der Oberfläche aus Hunderten leicht geneigter Scheiben; sie reflektieren das Licht, ohne Ein- und Ausblicke zu gewähren.

Außerhalb Europas macht das Getty-Center in Santa Monica von sich reden, das nach 13-jähriger Bauzeit eröffnet wird. Wieder einmal ist es Richard Meier gelungen, in seinem klassisch-modernen Stil ein ebenso architektonisch anspruchsvolles wie funktionales Ambiente zu schaffen. Eine ihm eher ungewohnte Aufgabe stellte die Komplexität der Anlage: Forschungs-, Ausstellungs- und Serviceeinrichtungen fügen sich zu einer »Akropolis der Künste«. Deutschland kann 1997 die Fertigstellung zweier international bedeutender Verwaltungsbauten melden: In Essen wird der zylindrische Wolkenkratzer der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) bezogen, in Frankfurt der neue Sitz der Commerzbank. Beide Bauten verstehen sich als »ökologische Architektur«: Ihre Konstruktion berücksichtigt in entscheidendem Maße Fragen der Energieersparnis, des Umweltschutzes und des »Arbeitsklimas«. Norman Fosters 60-stöckiger Bau am Main ist auf einem gleichschenkligen Dreieck errichtet, das ein die ganze Höhe durchbrechendes Atrium umfasst. An den Ecken des Dreiecks liegen die Erschließungseinrichtungen; die Büroetagen sind versetzt mit Wintergärten durchzogen. Alle Räume werden natürlich belüftet. Auch Berlin wartet mit einem neuen, bedeutenden Bau auf: Das im Hinblick auf die Olympiakandidatur geplante Radstation in Prenzlauer Berg wird nach fünfjähriger Bauzeit vollendet. Dominique Perrault, der Architekt der Pariser Nationalbibliothek, entwarf für das wenig attraktive städtische Umfeld ein kreisförmiges Stahldach, unter dem sich, 17 m in den Boden versenkt, das Velodrom verbirgt. Eine rechteckige Schwimmhalle soll den Komplex ergänzen.

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