Was ist Bildung wert?

Bildung 1998:

Die Verbesserung oder zumindest die Sicherung der Qualität der Ausbildung an Schule und Hochschule angesichts knapper Mittelzuweisungen ist 1998 ein beherrschendes Thema der Diskussion in Deutschland.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen nimmt im Schuljahr 1997/98 gegenüber 1996/97 in ganz Deutschland von 10,07 auf 10,15 Millionen zu, obwohl die Schülerzahlen in den neuen Bundesländern wegen des Geburtenrückgangs um 3% sinken. Während in Ostdeutschland insbesondere Grundschulen geschlossen und Lehrer zu Teilzeitarbeit verpflichtet werden, sehen sich die Schulen in Westdeutschland mit einem Schülerandrang konfrontiert, wobei der Bildungsetat nicht aufgestockt wird.

In fast allen West-Bundesländern ist die Lehrerarbeitszeit verlängert worden; eine dagegen gerichtete Klage eines Gymnasiallehrers aus Baden-Württemberg gegen die Landesregierung wird im September 1998 abgewiesen, obwohl er den Nachweis führte, dass wieder dieselbe Unterrichtszeit an höheren Schulen gilt wie 1921 – bei einer Arbeitszeitverkürzung um 17% für andere Beamte.

Trotz höherer Unterrichtsverpflichtungen der Lehrer erhalten immer noch nicht alle Schulen die ihnen rechnerisch zustehende Anzahl an Lehrerstunden – mit der Folge häufiger Unterrichtsausfälle, die insbesondere die Elternschaft auf die Barrikaden treiben. Klagen über ungenügend auf Studium oder Berufsleben vorbereitete Schüler rücken das Thema der Qualitätssicherung der schulischen Ausbildung in den Vordergrund. Diese Klagen erhalten durch die dritte internationale Vergleichsstudie über mathematisches und naturwissenschaftliches Grundwissen (TIMSS), die im Februar vorgelegt wird, neue Nahrung: Schüler deutscher Abschlussklassen belegen darin nur mittlere Plätze. Auch wenn sich das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin wegen der ungenügenden Vergleichsbasis gegen ein »Länder-Ranking« ausspricht, konstatiert es doch einen Rückstand deutscher Schüler der gymnasialen Oberstufe insbesondere in Mathematik.

Als Konsequenz aus der Diskussion um die Qualität der deutschen Schulen lässt die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) zu Schuljahresbeginn 1998/99 etwa 3000 bereits gültig zensierte Abiturklausuren einsammeln, um sie in ihrem Ministerium hinsichtlich Notengebung, Aufgabenstellung und Vorbereitung des Stoffes zu überprüfen; die damit beauftragte Arbeitsgruppe legt 1998 noch kein Ergebnis vor.

Behler hält wie ihre Kolleginnen in den anderen SPD-regierten Ländern an individuellen Abiturprüfungen in den einzelnen Schulen fest, wohingegen die unionsregierten Länder und auch der bis September amtierende Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) sich für die Einführung eines Zentralabiturs aussprechen. Hauptstreitpunkt in der Hochschulpolitik ist 1998 das Thema Studiengebühren. Das noch unter Rüttgers’ Federführung ausgearbeitete Hochschulrahmengesetz, das für ein kürzeres und praxisbezogeneres Studium an deutschen Hochschulen sorgen soll, findet in vielen Punkten – bundeseinheitliche Regelstudienzeiten, Einführung internationaler Abschlüsse wie Bachelor und Masters, größere Finanzautonomie der Hochschulen – die Zustimmung aller, auch der SPD-geführten, Bundesländer. Da die SPD sich mit ihrer Forderung, ein befristetes Verbot von Studiengebühren in das Gesetz aufzunehmen, nicht durchsetzen kann, erhält es im Bundesrat dennoch keine Mehrheit. Der Bundestag setzt sich über den Einspruch der Länderkammer zwar Anfang Juni mit Kanzlermehrheit hinweg, doch nach dem Regierungswechsel in Bonn steht eine Revision des Gesetzes an. Die Sozialdemokraten lehnen Studiengebühren als unsozial ab.

Chroniknet