Regierungsumzug nach Berlin, SPD-Stimmungstief und CDU-Schwarzgeld

Politik und Gesellschaft 1999:

Auch für die Deutschen markiert das Jahr 1999 eine Zeitenwende: Zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ziehen Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin um; Johannes Rau (SPD) ist der achte und letzte Bundespräsident, der seinen Amtseid am Rhein ablegt. Zugleich wächst Deutschlands Rolle in der Weltpolitik, und mit der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 rückt die Bundesrepublik zeitweilig in den Mittelpunkt des internationalen Krisenmanagements.

Das Jahr 1999 gerät zur politischen Achterbahnfahrt: Die rot-grüne Koalition, zu Jahresbeginn noch im Hochgefühl des Wahlsiegs vom Herbst 1998, sackt durch die Debatten um den Doppel-Pass, die »Nachbesserungen« beim 630-DM-Gesetz und bei der Scheinselbstständigkeit, den verpatzten Atomausstieg und den Rücktritt von Oskar Lafontaine als SPD-Parteichef und Finanzminister in ein Stimmungstief, das bis zu den herben Niederlagen bei den Landtagswahlen im September und Oktober anhält.

Die Durchsetzung des Sparpakets, das der zum Hoffnungsträger avancierte Finanzminister Hans Eichel geschnürt hat, die spektakuläre Rettungsaktion von Bundeskanzler Gerhard Schröder beim angeschlagenen Baukonzern Holzmann, die demonstrative Rückenstärkung für Schröder beim SPD-Parteitag im Dezember und die versprochene große Steuerreform sorgen allerdings am Jahresende für einen Meinungsumschwung. Anders die Kurve für die Unionsparteien: Die Schwäche der rot-grünen Koalition verhilft der CDU dazu, dass sie scheinbar mühelos einen Wahlerfolg nach dem anderen feiern kann, und sie verdeckt spielend, dass die programmatische Erneuerung nach dem Verlust der Regierungsverantwortung noch längst nicht vollzogen ist. Umso jäher dann der Absturz: Die Parteispendenaffäre bringt im November und Dezember durch Berichte über schwarze Kassen, geheime Konten und nicht angegebene Spenden Altbundeskanzler Helmut Kohl und die neue Parteiführung um Wolfgang Schäuble in Bedrängnis.

Chroniknet