Schockwerbung ist erlaubt

Werbung 2000:

Gerichtsurteile stecken genauer die Grenzen dessen ab, wofür und wie geworben werden darf.

Am 5. Oktober hebt der Europäische Gerichtshof (EuGH) das 1997 von der Europäischen Union (EU) beschlossene Tabakwerbeverbot auf. Obwohl die Luxemburger Richter in seinem Sinne entscheiden, kündigt der Formel-1-Veranstalter FIA an, dass mit Ende der Saison 2006 jegliche Tabakwerbung und alle Formen von Sponsoring durch Tabakkonzerne aus dem Motorsport verbannt werden sollen. Schon 2000 müssen einige Starter bei Rennen in Belgien oder in den USA die Logos von Tabakfirmen entfernen. Zudem bleiben die teilweise rigiden nationalen Regelungen in Kraft. In Finnland ist so gut wie jede Form der Zigarettenwerbung untersagt, Großbritannien und die Niederlande planen Ähnliches.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am 12. Dezember, dass die Benetton-Schockwerbung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es korrigiert damit Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH), das 1995 der Illustrierten »Stern« die Veröffentlichung dreier Benetton-Motive untersagte – die »Abstempelung« eines Menschen als aidskrank, eine Ente mit ölverklebtem Gefieder sowie die Darstellung von Kinderarbeit. Das Blatt legte dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Die Verfassungsrichter erklären nun, dass ein Verbot solcher Werbung die Pressefreiheit verletze.

Die drei Motive und auch viele andere der 1992 begonnenen Benetton-Kampagne stammen von dem Fotografen Oliviero Toscani. Er scheidet im Mai 2000 nach 18 Jahren bei Benetton aus. Seine letzte Serie mit Benetton-Anzeigen läuft Anfang Januar – zuerst in den USA – an; gezeigt werden 26 zum Tode verurteilte Mörder.

Mit Einsprüchen gegen Werbung beschäftigt sich seit 1972 der Deutsche Werberat. Er befasst sich im Jahr 2000 vor allem mit Protesten gegen Reklame von Internet-Firmen in klassischen Medien. Es handelt es sich um Kampagnen, die rechtlich zwar zulässig sind, aber dennoch die Wertvorstellungen vieler Bürger verletzen. Zumeist beugen sich die Unternehmen und ziehen ihre Werbung zurück. So auch der TV-Musikkanal Viva: Auf einem beanstandeten Plakat ist ein Mädchen zu sehen, das mit gespreizten Beinen vor einem Fernsehgerät sitzt. Überschrieben ist das Bild mit »Kauf mich«, ein (doppeldeutiger) Hinweis auf den Börsengang des Unternehmens.

Unternehmen der Internet- und Medienbranche werben besonders aggressiv um Kunden, nicht zuletzt deshalb, weil die Werbung im Internet am schnellsten zunimmt. Nach Einschätzung des Baseler Marktforschungsinstituts Prognos AG wird die Online-Reklame bis zum Jahr 2010 mit einem geschätzten Umsatz von 4,8 Mrd. DM einen Marktanteil von dann 6,6% erreichen.

Für 2000 rechnet die deutsche Werbewirtschaft mit einem um fast 4% auf 64 Mrd. DM gestiegenen Werbevolumen. Die Massenmedien verzeichnen als Werbeträger zweistellige Zuwachsraten. Zugleich geben Fernsehen und Presse auch selbst viel Geld für die Werbung aus.

Zu den besonders werbeintensiven Branchen zählt weiterhin die Automobilindustrie. Hier werden Ansätze zu einem Wertewandel deutlich: Statt rasanter Fahrten werden häufiger die Vorzüge von Autos mit geringem Verbrauch angepriesen. Weit oben bei den Werbeausgaben stehen außerdem die Telekommunikationsbranche und der Einzelhandel.

Einzelne Unternehmen geben für die Werbung viel Geld aus: So lanciert z. B. der Energieversorger E.ON (bisher Veba und Viag) eine großangelegte Imagekampagne, und die Deutsche Post AG wirbt für ihren Börsengang. Der Konkurrenzkampf zwingt auch die Finanzdienstleister zu höheren Werbeetats. Dies gilt insbesondere für neue, durch Fusionen entstandene Namen (z. B. HypoVereinsbank) und für Internet-Banker (z. B. Comdirect).

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